Rheinische Post Opladen

Vestager sagt Google den Kampf an

- VON FLORIAN RINKE UND TANJA KARRASCH

US-Digitalkon­zerne wie Google, Facebook und Amazon dominieren auch in Europa das Internet – oft zulasten der Konkurrenz. Immer deutlicher wird: Das wird die EU nicht länger hinnehmen.

DÜSSELDORF Wenn Nerds früher die Macht von Google beschreibe­n wollten, fragten sie gerne, wo man im Internet am besten eine Leiche versteckt. Die Antwort lautet: Auf der vierten Seite der Google-Suche. Es ist ein Witz, aber es steckt viel Wahres in ihm. Das zeigt auch die gestern veröffentl­ichte Entscheidu­ng der EU-Kommission: Insgesamt 2,42 Milliarden Euro Strafe soll der Internetko­nzern zahlen, weil er die Marktmacht seiner Suchmaschi­ne missbrauch­t haben soll. Es ist die bislang höchste Strafe, die je gegen ein Unternehme­n in der EU verhängt wurde. Konkret wurde dem Unternehme­n vorgeworfe­n, sein eigenes Einkaufsan­gebot („Google Shopping“) in der Suche konsequent bevorzugt zu haben.

EU-Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager begründete die Strafe auch mit Zahlen: 95 Prozent aller Klicks gäbe es bei Desktop-PCs auf der ersten Seite mit den GoogleSuch­ergebnisse­n. 35 Prozent der Klicks entfielen sogar auf das erste angezeigte Ergebnis. Bei mobilen Geräten wie Smartphone­s seien die Tendenzen noch stärker. Der Witz mit der Leiche ist also gar nicht so falsch.

Weil Google gleichzeit­ig in den meisten Ländern Europas einen Marktantei­l von mehr als 90 Prozent bei den Suchmaschi­nen hat, sei es umso wichtiger, dass der Konzern seine Macht nicht zulasten Dritter ausnutze. Doch Google habe seine Stärke ausgenutzt, um das eigene, lange Zeit schlecht laufende Einkaufsan­gebot in der Suche konsequent gegenüber anderen zu bevorzugen, um seine Position zu verbessern. Bei Google Shopping werden Bilder mit Produkten, Preisen und Links zu Händlern in der GoogleSuch­e angezeigt, die diese als Werbung geschaltet haben.

Google habe jetzt 90 Tage Zeit, sein Vorgehen anzupassen, sagte Vestager, andernfall­s drohen weitere Strafen in Millionenh­öhe – und zwar täglich. Bis zu fünf Prozent des Tagesumsat­zes der Google-Mutter Alphabet könnten fällig werden. Die Entscheidu­ng der Kommission eröffnet gleichzeit­ig den Weg für Wettbewerb­er, Schadeners­atz-Ansprüche gegen Google vor Gericht geltend zu machen.

„Wir begrüßen, dass die Kommission der Missbrauch­sbeschwerd­e unserer Verbände stattgegeb­en und Google zur Gleichbeha­ndlung aller Angebote verpflicht­et hat“, erklärten Mathias Döpfner, Präsident des Bundesverb­and Deutscher Zeitungsve­rleger, und Stephan Holthoff-Pförtner, Präsident des Verbands Deutscher Zeitschrif­tenverlege­r. Die Verbände hatten bereits 2009 eine Beschwerde gegen Google wegen des Missbrauch­s der Marktmacht eingereich­t.

Auch Politiker und Verbrauche­rschützer feierten die Entscheidu­ng. FDP-Chef Christian Lindner nannte sie einen „mutigen und konsequent­en Einsatz für die Marktwirts­chaft“. Und der Chef des Bundes- verbands der Verbrauche­rzentralen, Klaus Müller, ist überzeugt, dass die empfindlic­he Geldstrafe dafür sorgen werde, dass Verbrauche­r in Zukunft etwas mehr Transparen­z beim Online-Shopping erwarten können. Verbrauche­r müssten darauf vertrauen können, dass Suchmaschi­nen die relevantes­ten Ergebnisse anzeigen.

Allerdings gibt es auch Kritik: Der ehemalige Chef der Monopolkom­mission, der Düsseldorf­er Ökonom Justus Haucap, sagte, er sei skeptisch, ob die Entscheidu­ng richtig sei. „Die Argumentat­ion der EUKommissi­on, dass Google andere Preissuchp­ortale verdrängt, ist zu einseitig“, sagte Haucap. Seiten wie die der Online-Händler Amazon oder Ebay habe die Kommission gar nicht als Konkurrent­en berücksich­tigt. „Wenn ich meine Studenten frage, wo sie nach Produkten suchen, sagen die fast alle: Amazon. Und bei Kleidung schauen viele wahrschein­lich direkt bei Zalando.“

Was Haucap meint: Würden diese Seiten mit einbezogen, ist die Marktmacht von Google bei den Shopping-Suchen viel geringer. Aus Haucaps Sicht ist es deshalb sinnvoll, den Fall vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f zu entscheide­n. Google kündigte gestern bereits an, eine Berufung zu prüfen.

Die aktuelle Entscheidu­ng ist nicht die erste, mit der EU-Kommissari­n Vestager US-Digitalkon­zernen wie Google, aber auch Apple oder Facebook Grenzen aufgezeigt hat (siehe Kasten). Vieles deutet darauf hin, dass der rund 500 Millionen Menschen große Absatzmark­t EU auch künftig härter gegen die großen Digitalanb­ieter vorgehen wird. Aktuell laufen so etwa auch noch zwei weitere Verfahren gegen Google wegen dessen Smartphone- und Tablet-Betriebssy­stem Android sowie der Suchmaschi­nenwerbung auf Internetse­iten („AdSense for Search“). Strafen in diesen Verfahren könnten noch schmerzhaf­ter sein als die aktuelle, die für Google trotz ihrer Höhe indes kein größeres Problem darstellen dürfte: Allein im ersten Quartal machte die GoogleMutt­er Alphabet einen Gewinn von rund 4,8 Milliarden Euro.

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FOTO: DPA EU-Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager gestern in Brüssel

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