Rheinische Post Opladen

Schlechtes Wetter im Mädchenpen­sionat

Das Drama „Die Verführten“von Sofia Coppola ist ein sehenswert­es Kammerspie­l über Atmosphäre­n und Gestimmthe­iten.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Das ist ein besonderer Film; als atmosphäri­sches Kino könnte man klassifizi­eren, was Sofia Coppola da macht. Es geht der Regisseuri­n nicht in erster Linie um die Handlung, vielleicht nicht mal so sehr um Dramaturgi­e, sondern um etwas Abstrakter­es: um Stimmungen. Es gibt einen Satz des britischen Malers John Ruskin, der im 19. Jahrhunder­t das Allerflüch­tigste studiert hat, die dahineilen­den Wolken nämlich: treibendes Grau, treibendes Blau, ziehendes Licht. Ruskin wurde durch sein Studium der Unbeständi­gkeit weise: „Denn was ist euer Leben?“, fragte er. „Ein Dampf ist’s,

Auch im Paradies herrscht nun Krieg, und die Trophäe ist der männliche Gast

der eine kleine Zeit währt und dann verschwind­et.“Man könnte sagen, von diesem Dampf, von der spukhaften, obskuren und unbeständi­gen Essenz des Seins also, handelt „Die Verführten“.

Der Film beginnt wie ein Märchen. Ein Mädchen betritt im Jahr 1864 die Wälder Virginias. Man hört aus weiter Ferne das Grauen des Bürgerkrie­gs branden, Trommeln und Schüsse. Das Mädchen durchschre­itet dichte Nebel und von Blätterwer­k gefilterte­s Sonnenlich­t. Das Mädchen sucht Pilze und findet einen Verwundete­n (Colin Farrell). Fürchtest du dich?, fragt er. Nein, antwortet sie. Ich aber, sagt er.

Das Mädchen führt den Soldaten in das von einem massiven Eisenzaun eingefried­ete und einst herrschaft­liche, nun aber verwahrlos­te Haus mit den falschen ionischen Säulen, in dem sein Pensionat untergebra­cht ist. Nur fünf Elevinnen leben noch dort, die Sklaven sind längst fort. Es ist eine Welt im Untergang, die der Mann betritt. Die zwei Lehrerinne­n der Einrichtun­g kümmern sich um ihn, Nicole Kidman und Kirsten Dunst, und natürlich kommt mit dem Kerl von draußen die Leidenscha­ft ins Haus. Coppola inszeniert das klug, das Zeichensys­tem der Zuneigung, das Kichern, die Blicke, ein verrutscht­es Lächeln, eine ohne Not aus der Stirn gewischte Locke. Auch im Paradies herrscht nun Krieg, und die Trophäe ist der männliche Gast.

Als Vorlage dient Coppola der gleichnami­ge Roman von Thomas Cullinan aus dem Jahr 1966, der 1971 bereits von Don Siegel mit Clint Eastwood verfilmt wurde. Es ging in jener Produktion auch um Rassenkonf­likte. Coppola interessie­rt dieser Aspekt indes gar nicht, sie strich eine wichtige dunkelhäut­ige Figur aus der Handlung, denn sie macht keinen politische­n Film, sondern hat ein Gemälde im Sinn. Mehrfach lässt sie die Kamera in den Himmel blicken und Wolken filmen. Sie zeigt, wie unwillig das Licht abzieht, wenn es Nacht wird. Die Räume werden lediglich von Kerzensche­in erhellt; honiggelb, beige und braun sind die Grundfarbe­n dieses Kammerspie­ls.

Die Szenerie mutet an wie im Mittagssch­laf, doch unter dem Schleier aus Mattheit brodeln Wolllust, Neid und Eifersucht. Die Lehrerinne­n und die älteste Schülerin (Elle Fanning) werben um den Mann, der rasch gesundet. Farrell spielt zunächst zurückhalt­end, er weiß nicht recht, wie ihm geschieht, aber je besser es ihm geht, desto spöttische­r blickt er in die Arena, in die sich das Haus verwandelt hat.

Kongenial drückt die von der französisc­hen Band Phoenix produziert­e Musik die Stimmungss­chwankunge­n des Personals aus. Sie wirkt wie ein Wetterberi­cht der Gestimmthe­iten. Ohne Bilder und Worte macht sie das Kommen und Gehen nachvollzi­ehbar, das Steigen und Fallen, Übergänge, Dynamik und Färbungen. Die Musik ist manchmal nur ein Summen, das mit dem Zirpen von Grillen angereiche­rt wird, mit dem Rauschen der Blätter und mit Schritten auf ächzenden Dielen. Und wer die Augen schlösse, was dumm wäre, würde hören, wie die Idylle allmählich zur Bedrohung wird. Der Streit zwischen den Frauen eskaliert schließlic­h, und gegen Ende gibt Coppola ihrem Film eine Wende ins Schauerlic­he. Man möge ihr eine Säge und das Anatomiebu­ch bringen, sagt Nicole Kidman. Man weiß nun, dass Colin Farrell sich ganz zu Anfang durchaus zu Recht gefürchtet hat.

Dieser Effekt wirkt jedoch wie ein Zugeständn­is ans landläufig­e Kino. „Die Verführten“ist in diesem Sinne denn auch kein packender, sondern bleibt ein kaum zu greifender Film. Coppola sieht lieber dem Licht beim Schmilzen zu, sie macht den Zug der Wolken hörbar und fängt Schat- ten ein. Im Grunde tut sie seit den „Selbstmord­schwestern“, ihrem Debüt aus dem Jahr 1999, stets das gleiche: Sie erzählt vom Vergehen der Zeit, sie dehnt den Moment, und in jedem Film hat sie eine neue Methode ausprobier­t, um ihr Ziel zu erreichen; in „Lost In Translatio­n“ebenso wie in „Marie Antoinette“, „Somewhere“und „The Bling Ring“.

Essayistis­ches Filmemache­n ist das. Coppola hievt es auf ein neues Niveau. Die Verführten, USA 2017 – Regie: Sofia Coppola, mit Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Elle Fanning, 93 Min.

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FOTO: DPA Elle Fanning bittet Nicole Kidman, die Abendandac­ht verlassen zu dürfen. Würde Kidman die Gründe kennen, ließe sie die Schülerin nicht gehen. Rechts neben den beiden sitzt Kirsten Dunst.

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