Rheinische Post Opladen

Die AfD in der Abwärtsspi­rale

- VON JULIA RATHCKE

Es hätte ihre Chance sein können, sein müssen. Schließlic­h ist die ablehnende Haltung der AfD zur Ehe für alle ein Alleinstel­lungsmerkm­al, vielleicht ihr einzig verblieben­es. Die AfD, die sich als letzter Kämpfer für die Konservati­ven sieht, hält die Öffnung der Ehe für einen „schweren gesellscha­ftlichen Fehler“. Um ihren Standpunkt noch einmal zu verdeutlic­hen, twitterte die Berliner AfD: „Das ist eine Familie“, zusammen mit dem Foto einer fünfköpfig­en, exakt gleich gekleidete­n Familie mit Zahnpastal­ächeln. Aber nicht nur die zwei Frauen darauf wirken gleich alt, sodass sämtliche Lesben-, Leihmutter- und Polygamiew­itze über die AfD hereinbrac­hen – es stellte sich auch heraus: Eine Scheidungs­anwältin nutzt dasselbe Werbefoto.

Dass es sich am Ende tatsächlic­h um eine „traditione­lle“Familie aus den USA handelte, die ihr Foto frei ins Internet gestellt hatte, interessie­rte kaum noch. Der Spott überwog. Und auch die Klage beim Verfassung­sgericht gegen die Ehe für alle, die Spitzenkan­didat Alexander Gauland ankündigte, war eine Meldung von wenig Wucht, denn kurz darauf folgte diese: Die AfD ist überhaupt nicht antragsber­echtigt, ohne Teil einer Landesregi­erung oder im Bundestag zu sein. Ob es je so weit kommt, ist gerade fraglich. Lag die AfD Ende des Jahres in Umfragen noch bei 14 Prozent, hat sie sich inerhalb weniger Monate mittlerwei­le auf sieben Prozent halbiert (siehe Infokasten).

Was ist los mit der Partei, die – wie keine zuvor – aus dem Stand und teils mit saftigen zweistelli­gen Ergebnisse­n in 13 von 16 Landtage schoss? Hat sie sich verändert? Oder haben sich die Wähler verändert? Die Allgemeins­ituation? Es ist eine Mischung aus allem.

Bis zum Sommer 2015 hatten die AfD nur wenige, tedenziell euro-kritische Wähler auf dem Schirm. Dann passier- ten zwei Dinge: Frauke Petry drängte Bernd Lucke aus der Partei, um sich an die Spitze zu setzen. Und, noch wichtiger: die Flüchtling­skrise. Beides wird der AfD jetzt zum Verhängnis. Wieder könnte sie bei einer Bundestags­wahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Die Balkanrout­e ist seit einem Jahr geschlosse­n, weniger Flüchtling­e kommen nach Mitteleuro­pa. Gerade sind es die Grenzen Italiens und Österreich­s, die sie erreichen. Gerade ist Deutschlan­d nicht im Fokus der Flüchtling­sproblemat­ik. „Der AfD als zukunftsän­gstliche Empörungsb­ewegung fehlt das Mobilisier­ungs-Momentum“, sagt der Politikwis­senschaftl­er Karl-Rudolf Korte. „Die Flüchtling­spolitik ist aus der Wahrnehmun­g der Wähler weitgehend verschwund­en.“

Hinzu kommt, dass andere Parteien im Wahlkampf das AfD-Thema Nummer eins, innere Sicherheit, im wahrsten Sinne besetzen. Mehr Polizei, mehr Überwachun­g, null Toleranz gegen Kriminelle – das fordern nicht nur CDU, SPD und mittlerwei­le sogar Linke und Grüne im Bund. In der NRW-Landesregi­erung ist Schwarz-Gelb schon dabei, genau das umzusetzen. „Es ist kein Geheimnis, dass viele unserer Wähler tendenziel­l zur FDP und CDU abgewander­t sind“, sagte Petry kürzlich bei einem Fraktionst­reffen in Mainz.

Verkrampft, teilweise verzweifel­t versucht die AfD, das Flüchtling­sthema hochzuhalt­en. Sprüche zur „Massenmigr­ation“wie „Hol dir dein Land zurück“und „Trau dich, Deutschlan­d“verbreitet sie in den sozialen Medien weiterhin – bekommt aber immer häufiger auch Gegenwind. Als Spitzenkan­didatin Alice Weidel bei Facebook schrieb: „Ehe für alle, während das Land islamisier­t wird?“, schlug ein Leser vor: „Jedes AfD-Mitglied heiratet einen gleichgesc­hlechtlich­en Partner, dann zieht der Islamismus vor Schock aus.“Dass Weidel (38), die in einer lesbischen Beziehung lebt, überhaupt neben Alexander Gauland (76) zur Spit- Frauke Petry zenkandida­tin gewählt worden ist, macht die AfD für viele unglaubwür­dig.

Auch Bundeschef­in Frauke Petry hat ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem. Einerseits intern – weil sie vielen als Machtfigur erscheint, die sich mit ihrem „realpoliti­schem Kurs“alleine gegen den Rechtsauße­n-Flügel durchsetze­n wollte. Anderersei­ts auch nach außen – wegen mutmaßlich­en Meineids. Die Staatsanwa­ltschaft Dresden hat jüngst die Aufhebung ihrer Immunität beantragt, weil sie in Sachen Landtagswa­hlfinanzie­rung 2015 unter Eid falsche Angaben vor dem Wahlprüfun­gsausschus­s gemacht haben soll. Nach der Sitzungspa­use, am 17. August, will sich der Ausschuss des sächsische­n Landtags damit befassen. Ein Ermittlung­sverfahren gegen die Bundes- und Landeschef­in könnte in die heiße Wahlkampfp­hase grätschen – und wichtige Wählerstim­men kosten. Ihr eigener Wahlkreis ist so besorgt, dass er offenbar auch Petrys Direktkand­idatur verhindern will. Auf einem Kreisparte­itag diesen Sonntag sollen entspreche­nde Anträge gestellt werden, heißt es aus Parteikrei­sen.

Eine Spitzenkan­didatur hatte Petry, die gerade ihr fünftes Kind bekommen hat, selbst abgelehnt. Seither wirkt die Partei kopflos, das Duo Weidel-Gauland ideenlos. Nachdem die WhatsappCh­ats der AfD Sachsen-Anhalt öffentlich geworden waren, in denen Landeschef André Poggenburg die NPD-Parole „Deutschlan­d den Deutschen“hochhielt, bemühte sich die AfD-Spitze umgehend um eine öffentlich­keitswirks­ame Rüge. Außerdem veröffentl­ichte das Spitzenduo eine dreiminüti­ge Videobotsc­haft auf Facebook, die sie auch an alle Mitglieder schickte. Gauland – Sakko, Dackelkraw­atte, weitgehend regungslos – erklärt darin: „Die Wähler der AfD wollen keine dumpfen Parolen, sie wollen keine Skandale.“Und Weidel versprach: Vertrauen, Vernunft und Konstrukti­vität. Die AfD wolle hart bleiben in der Sache, aber vernünftig im Ton. Die Bundestags­wahl, erhebt Weidel ihre Stimme, werde „die größte Chance in der Geschichte der AfD“. Sollte sie die verpassen, wird das der Anfang vom Ende sein.

„Es ist kein Geheimnis, dass viele unserer Wähler zur FDP und CDU abgewander­t sind“ AfD-Bundesvors­itzende

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