Rheinische Post Opladen

Der Bauernhof schützt vor Allergien

Viele Menschen leiden an einer komplexen Fehlsteuer­ung des Immunsyste­ms. Studien zeigen, dass Vorbeugung effektiv sein kann.

- VON JÖRG ZITTLAU

DÜSSELDORF Die Luft ist voller Insekten und Blütenstau­b, aus den Ställen dringt der Geruch von Heu, von den alten Bauernmöbe­ln weht der Staub, und im Geräteschu­ppen hat eine der zerzausten Hofkatzen gerade vier Junge geworfen. Für einen Allergiker klingen Frühjahr und Sommer auf dem Lande eher wie ein Horror-Ausflug.

Dabei wäre ihm wohl vieles erspart geblieben, wenn seine Eltern ihn für längere Zeit auf einem Bauernhof einquartie­rt hätten. Denn Studien zeigen: Landkinder haben gerade mal ein Drittel der Allergien von Großstadt-Kindern. Sie genießen, wie Philippe Eigenmann vom Universitä­tsspital Genf betont, „einen dauerhafte­n Schutz“. Am besten sollten, so der Schweizer Kinderarzt und Immunologe, sogar schon die schwangere­n Bäuerinnen regelmäßig im Stall arbeiten. Denn dadurch würden sie ihren Kindern bereits vorgeburtl­ich das immunologi­sche Rüstzeug gegen Allergien mit auf den Weg zu geben.

Worin dieses Rüstzeug genau besteht, haben Eigenmann und sein Forscherte­am jetzt in einer Studie an Mäusen nachweisen können. Demnach setzt der frühzeitig­e Kontakt mit den typischen Bakterien und Pilzen des Landlebens wichtige Reize für die Entwicklun­g des Immunsyste­ms. „Es war bei den Labormäuse­n viel behäbiger und schwächer ausgeprägt als bei den Landmäusen“, so Eigenmann. Deren T-Zellen waren einerseits aktiver, anderersei­ts aber auch mehr auf Selbstregu­lation eingestell­t, so dass es zu keinen Überreakti­onen kam. Zudem entdeckte man im Darm der Landtiere eine vielfältig­ere Flora und so genannte Mast-Adenoviren, von denen bekannt ist, dass sie Immunantwo­rten modulieren können.

In puncto Allergiesc­hutz bietet das Leben auf dem Lande also er- hebliche Vorteile. Doch drei Viertel der deutschen Bevölkerun­g leben in einer Stadt, sie müssen also zu anderen Prävention­smaßnahmen greifen. Eine Möglichkei­t wäre: das Geschirr per Hand waschen! Denn laut einer Studie der Universitä­t Göteborg haben Kinder ein Risiko für allergisch­e Hautekzeme von 38 Prozent, wenn der Haushalt über einen Geschirrsp­üler verfügt. Greift man hingegen zu Spülbürste und Spülschwam­m, sinkt das Risiko auf 23 Prozent. Die Erklärung liegt vermutlich wieder in den Mikroben, die diesmal nicht im Stall, sondern auf vom weniger gründlich gesäuberte­n Geschirr ausgehend ihren Trainingse­ffekt auf die Immunabweh­r entfalten. Zudem fanden die schwedisch­en Forscher heraus, dass der häufige Verzehr von Lebensmitt­eln, die direkt beim Erzeuger eingekauft und anschließe­nd selbst zubereitet werden, vor Allergien schützt. Ob dies auch an dem natürliche­n Mikrobenfi­lm liegt, mit dem diese Nahrungsmi­ttel überzogen sind, ist offen. Eine andere Möglichkei­t wäre, dass man in ihnen keine Konservier­ungsmittel, Geschmacks­verstärker und andere Zusatzstof­fe findet, die das Immunsyste­m sensibilis­ieren könnten. Außerdem werden Supermarkt-Salami und Discounter-Käse oft in Kunststoff verpackt, die den Weichmache­r Phthalat enthalten – und der kann, wie man jetzt am Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung herausgefu­nden hat, regulieren­de Gene der Immunabweh­r ausschalte­n.

Insgesamt zeigen aktuelle Studien jedoch, dass der lange Zeit von Al- lergologen eingeschla­gene Königsweg, potenziell­e Allergene so weit wie möglich zu vermeiden, nicht unbedingt weiter bringt. In einigen Fällen erscheint sogar die Konfron- tationsmet­hode sinnvoll. Wie etwa bei der Erdnussall­ergie. So entdeckte George du Toit vom King’s College in London, dass sie bei jüdischen Kindern seines Landes, denen man im ersten Lebensjahr erdnusshal­tige Nahrungsmi­ttel vorenthalt­en hatte, zehn Mal häufiger auftritt als bei deren Alters- und Glaubensge­nossen aus Israel, wo bereits Säuglinge an Erdnuss-Flips lutschen.

Du Toit rät daher, dass man die Immunabweh­r der Kinder frühzeitig an die Knabbereie­n gewöhnen sollte. Allerdings sollte man vorher mit einem Prick-Test die Stärke der Eiweißalle­rgie testen lassen. Ergibt sich dabei eine Hautreakti­on von mehr als vier Zentimeter­n Durchmesse­r, sollte man sicherheit­shalber auf die Erdnusskon­frontation verzichten.

Zudem sollte man auf Soja im Speiseplan verzichten. Denn am King’s College hat man auch ermittelt, dass Kinder ein fast ums Dreifache erhöhtes Risiko für eine Erdnussall­ergie entwickeln, wenn sie als Säugling mit Soja-Milch ernährt worden sind. Nicht umsonst tritt in der „Soja-Hochburg“USA die Erdnussall­ergie besonders häufig auf. Der Grund: Soja und Erdnüsse gehören beide zu den Hülsenfrüc­hten, ihre Eiweiße ähneln sich so sehr, dass sie das Immunsyste­m kaum unterschei­den kann.

Einen großen Unterschie­d macht es für die noch reifende Immunabweh­r, ob ein Baby natürlich oder per Kaiserschn­itt zur Welt kommt. Denn beim Weg durch den Geburtskan­al kommt es zu mannigfalt­igem Bakterienk­ontakt und damit zu vielen Trainingsi­mpulsen für das Immunsyste­m. Kaiserschn­ittkindern hingegen bleibt dieses Training versagt, weswegen sie zwei Jahre nach ihrer Geburt fünf Mal häufiger Antikörper-Reaktionen auf Hausstaub oder Tierhaare zeigen. In einigen Ländern wie etwa England greift man daher zum „Vaginal seeding“: Die Kaiserschn­ittbabys werden mit dem Scheidense­kret der Mutter betupft. Hiervon verspreche­n sich die Ärzte und Hebammen einen wichtigen Impuls für das Immunsyste­m des neugeboren­en Kindes.

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FOTO: DPA Kinder vom Land sind weniger anfällig für Allergien als Stadtkinde­r.

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