Vom Helden zum Buhmann
Einen Tag nach seinem Etappensieg löst Weltmeister Peter Sagan einen schweren Sturz aus. Der Slowake wird von der 104. Tour ausgeschlossen. Sprinter Greipel ist außer sich: „Du hast mich zum zweiten Mal beinahe umgebracht.“
VITTEL (sid/dpa) Radsport-Rüpel Peter Sagan bat nach seiner brutalen Attacke um Entschuldigung, doch die Jury kannte keine Gnade mit dem Slowaken. Um 18.58 Uhr schloss die Rennleitung den für das deutsche Team Bora-hansgrohe fahrenden Weltmeister der Jahre 2016 und 2017 von der 104. Tour de France aus – die Höchststrafe für einen Ellbogen-Rammstoß gegen den Briten Mark Cavendish im Massensprint von Vittel. „Er hat auf den letzten Metern des Sprints Kollegen ernsthaft gefährdet“, begründete Jury-Präsident Philippe Marien aus Belgien die Entscheidung.
Sagan, der seinem neuen Team 24 Stunden zuvor den ersten TourEtappensieg beschert hatte und der angeblich rund vier Millionen Euro pro Jahr verdienen soll, sorgte nun für Boras GAU. Dabei sollte er doch für Aufmerksamkeit sorgen – allerdings der positiven Art. Teamchef Ralph Denk bekam den Showman der Branche, dessen Frau Katarina schwanger ist, nur im Paket mit fünf weiteren Fahrern und umfassender Entourage. Dazu zählt auch sein Bruder Juraj. 2010 war der Rennstall unter dem Namen NetApp noch drittklassig, sogar das Aus drohte wegen fehlender Sponsoren. Vergangenes Jahr noch zweitklassig, sollte auch dank Sagan möglichst ein Platz weit oben bei den besten Teams erkämpft werden.
„Du hast mich zum zweiten Mal beinahe umgebracht!“, fauchte der deutsche Topsprinter André Greipel (Rostock) in Richtung Sagan, nachdem er sich nur mühsam auf dem Rad gehalten hatte. Cavendish wurde mit Verdacht auf Schulterbruch umgehend ins Krankenhaus gebracht. Sagan, der Grenzgänger seines Sports, hatte komplett überzogen. Im chaotischen Finale in Vittel, wo der Franzose Arnaud Démare für den ersten Heimsieg der 104. Auflage sorgte und Greipel Dritter wurde, hatte er einen spektakulären Crash verursacht. Der 27-Jährige rammte Cavendish in die Gitter, dieser flog dem Thüringer John Degenkolb vors Rad, der ebenfalls übel zu Bo- den ging. „Da fährt ein Typ im Weltmeister-Trikot, der meint, er könne sich alles erlauben“, polterte Greipel. Der 34-Jährige war ebenso chancenlos wie Marcel Kittel, der schon zuvor den Anschluss verlor.
Cavendishs Sportdirektor Rolf Aldag (Dimension Data) hatte die härteste Konsequenz gefordert. „Das war eine klare Tätlichkeit. Sagan muss ausgeschlossen werden. Wir haben das bei der Jury beantragt“, sagte Aldag. Die Jury belegte Sagan, zunächst Etappenzweiter, mit 30 Sekunden Strafe und setzte ihn auf Platz 115 zurück, Greipel rückte damit auf Rang dre vor. Nach einer guten Stunde Beratung senkte die Rennleitung dann den Daumen.
Sagan sah zumindest seine Schuld ein und ging im Zielraum auf Entschuldigungs-Tour. Nach der missglückten Aussprache mit Greipel suchte er den Cavendish-Teambus auf und sagte sorry. „Ich habe Mark nicht gesehen, es tut mir leid“, meinte Sagan. Sein zweites Opfer Degenkolb gab Entwarnung: „Es geht mir den Umständen entsprechend gut.“Kittel, am Sonntag Sieger des ersten Massenspurts in Lüttich, war zurückgefallen, als ein erster Massensturz um den Gesamtführenden Geraint Thomas das Feld an der Ein-Kilometer-Marke dezimierte. „Es ist eng geworden, als alle vorne fahren wollten“, meinte Kittel, der das Grüne Trikot verlor.
Das Gelbe Trikot des Gesamtführenden verteidigte der Waliser Thomas trotz des Sturzes mit zwölf Sekunden Vorsprung auf seinen britischen Teamkollegen und Kapitän Christopher Froome. Die fünfte Etappe, die heute mit einer knackigen Bergankunft an der Planche des Belles Filles in den Vogesen endet, wird zum ersten Prüfstein für die Klassementfahrer.
„Das ist der erste große Test“, sagte Thomas, der keinen Zweifel an seiner untergeordneten Rolle im Team lässt: „Was auch immer das Team entscheidet, ich werde es mittragen. Ich stehe voll an der Seite von Froome und will mit ihm die Tour gewinnen.“