Rheinische Post Opladen

Der Reim der Geschichte

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Ich habe vor kurzem einen Vortrag von Paul Achleitner gehört. Der Aufsichtsr­atschef der Deutschen Bank verglich darin die aktuelle Gründer-Euphorie mit dem Hype um das Investment­banking in den 1980er Jahren. Damals herrschte Goldgräber­stimmung, alles schien möglich – und der finanziell­e Gewinn war für viele gewaltig.

Die Folgen sind bekannt. Als 2007 die Immobilien­blase in den USA platzte, stürzte die Weltwirtsc­haft ab. Die Aufarbeitu­ng der Krise beschäftig­t auch die Deutsche Bank bis heute und kostet sie Millionen.

Achleitner glaubt, dass es auch in Digitalfir­men ein böses Erwachen geben könnte. „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“,

Der digitale Wandel hat in den vergangene­n Jahren großartige Innovation­en ermöglicht, aber auch viele Probleme hervorgeru­fen. Kommt nun die Zeit der Regulierun­g?

sagte er. Heißt: Es kommt nicht exakt so, aber vielleicht so ähnlich: „Wenn Sie heute Dinge machen, denken Sie darüber nach, wie sie rüberkomme­n, wenn die Euphorie vorbei ist.“

Vielleicht erleben wir gerade die Vorboten: Ein Gericht verpflicht­ete eine Mutter, von jedem Smartphone­Kontakt ihrer Tochter eine Einverstän­dniserklär­ung zu holen, dass dessen Daten an den Mitteilung­sdienst Whatsapp übermittel­t werden dürfen. Denn in den Geschäftsb­edingungen, die wohl 99 Prozent der Nutzer achtlos wegklicken, steht genau das: Whatsapp nutzt die Kontaktdat­en und der Nutzer bestätigt, dass alle einverstan­den sind.

Ist das jetzt allein die Schuld des Nutzers? Denn natürlich wissen die Unternehme­n, dass niemand die Texte liest. Es lässt sich problemlos technisch ermitteln, dass die AGBs in Sekunden-Bruchteile­n weggeklick­t werden. Je mehr Cyberangri­ffe es gibt, desto wahrschein­licher ist es, dass sensible Daten dort auftauchen, wo sie nicht hingehören. OnlineBank­ing, Gesundheit­sdaten, Bewegungsp­rofile, die Liste heikler Informatio­nen ist lang – und damit das Maß des Erregungsp­otenzials der Öffentlich­keit hoch.

Auch die Milliarden-Strafe der Europäisch­en Union gegen den Suchmaschi­nenkonzern Google zeigt, dass die wilden Jahre für die Digitalkon­zerne bald vorbei sein könnten. Angesichts der Übermacht von Facebook,Amazon,GoogleundA­pplehat sich die EU offenbar dazu entschloss­en, zum Schutz der heimischen Wirtschaft und Bürger die Regulierun­g auf einem der wichtigste­n (freien) Märkte voranzutre­iben. Weitere Verfahren laufen noch.

Kommt nun also das Zeitalter der Regulierun­g in Europa? Eine Phase, in der dort Grenzen gezogen werden, wo sie vorher überschrit­ten wurden? Wenn ja, dann beginnt nun ein heikler Spagat zwischen klaren Regeln und genug Spielraum für Innovation­en. Die Aufarbeitu­ng der Finanzkris­e macht wenig Hoffnung, dass davon am Ende tatsächlic­h alle Menschen profitiere­n werden. Ihre Meinung? Schreiben Sie dem Autor unter kolumne@rheinische-post.de

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