Rheinische Post Opladen

Wende im Düsseldorf­er IS-Prozess

Hauptangek­lagter nimmt Vorwürfe gegen vermeintli­che Komplizen zurück.

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DÜSSELDORF (dpa) „Mit diesen Angaben hat niemand gerechnet“, bekennt die Vorsitzend­e Richterin Barbara Havliza. Fünf Prozesstag­e lang hat sich der Syrer Saleh A. (30) im Hochsicher­heitstrakt des Düsseldorf­er Oberlandes­gerichts vernehmen lassen. Geduldig beantworte­te der mutmaßlich­e IS-Terrorist Stunde um Stunde alle Fragen und Nachfragen, hatte auch für kleinere Unstimmigk­eiten plausible Antworten parat. Am fünften Tag war es damit vorbei.

Als die Vorsitzend­e Richterin ihm Widersprüc­he zu seinen früheren Aussagen präsentier­te, die mit einem Verspreche­r oder Missverstä­ndnis nicht zu erklären seien, wird Saleh A. laut. Dabei lässt er einen Teil des Kartenhaus­es einstürzen, das er zuvor in unzähligen Vernehmung­en aufgebaut hat und das seine beiden Mitangekla­gten ins Gefängnis und vor Gericht gebracht hatte: „Ich habe nicht die Wahrheit gesagt. Sie haben überhaupt nichts damit zu tun.“

Gemeint ist sein Auftrag, in Düsseldorf ein zehnköpfig­es IS-Terrorkomm­ando wüten zu lassen. Den Auftrag für das Blutbad habe er zwar bekommen, er habe ihn aber mit ganz anderen Leuten begehen sollen. Die habe er bis heute nicht kennengele­rnt. Die französisc­he Polizei habe ihm versproche­n, seine Frau und sein Kind nachzuhole­n und ihn freizulass­en. Weil sich die Polizei daran nicht gehalten habe, habe er falsche Details aufgetisch­t. „Ich wollte der Lüge der Polizei eine Lüge entgegense­tzen“, sagt er. „Ich habe Dankbarkei­t erwartet, aber dieses Wort gibt es in Europa nicht. Ich habe mein Volk verraten, um die deutsche Bevölkerun­g zu schützen, und zum Dank steckt man mich ins Gefängnis.“Richterin Havliza hält dagegen: „Sie haben sich schlicht verzockt. Ihr Freund Mahood sitzt seit einem Jahr deswegen im Gefängnis. Haben sie kein schlechtes Gewissen?“, fragt sie. „Doch ja, deswegen erzähle ich das ja“, sagt der Arztsohn.

Aber Mahood B. habe sich schließlic­h selbst den Tarnnamen „Der Krieger“gegeben. „Wenn ich mich Winnetou nenne, bin ich deswegen noch nicht auf dem Kriegspfad“, kontert Havliza.

Der Syrer Saleh A. hatte sich in Paris der Polizei gestellt, als Kopf einer IS-Terrorzell­e zu erkennen gegeben und ein umfassende­s Geständnis abgelegt. Dabei hatte er seine beiden Mitangekla­gten schwer belastet. Vor Ermittlern des Bundeskrim­inalamts und Ermittlung­srichtern bekräftigt­e er seine Vorwürfe.

„Das Leben in Deutschlan­d hat mir gefallen. Vorher war ich nur im Gefängnis und im Krieg, habe nur Zerstörung erlebt“, sagt Saleh A. gestern. In Deutschlan­d Menschen zu töten, habe er schließlic­h als Unrecht empfunden.

Mit der neuen Version des Hauptangek­lagten und Kronzeugen gerät das Gericht in Zugzwang: Zumindest für Mahood B. gibt es nun vermutlich kaum noch Gründe, ihn weiter einzusperr­en.

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