Rheinische Post Opladen

Eine außergewöh­nliche Wohngemein­schaft

Wolfgang Hardenacke und Jorge Velasco Lopez sind Mitbewohne­r – trotz eines Altersunte­rschieds von 46 Jahren.

- VON ELENA ERBRICH

KÖLN Ein Nachmittag in einer Wohngemein­schaft im Kölner Stadtteil Ehrenfeld: Die Spielekons­ole ist an und Wolfgang Hardenacke und Jorge Velasco Lopez spielen Golf. Schwungvol­l holt der 73jährige Hardenacke mit dem weißen Steuergerä­t aus und schlägt. Der Ball rollt über den Rasen auf dem Bildschirm und landet dicht am Loch. „Richtig gut“, sagt der 27jährige Sportstude­nt Velasco Lopez. „Du hast aber einen viel besseren Schwung als ich“, stellt der Rentner fest. Die beiden sind Mitbewohne­r und verstehen sich gut, trotz des Altersunte­rschieds von 46 Jahren.

Fast drei Monate wohnen sie jetzt schon zusammen. Gefunden haben sie sich über das Projekt „Wohnen für Hilfe“der Universitä­t und der Stadt Köln. Die Idee hinter dem Projekt: Senioren oder Familien, die viel Platz zu Hause haben, stellen Studenten oder Auszubilde­nden ein Zimmer kostenlos zur Verfügung. Die helfen ihnen dafür zum Beispiel im Haushalt, bei Gartenarbe­it, Kinderbetr­euung, beim Einkaufen, sie leisten Gesellscha­ft oder begleiten ihre Mitbewohne­r zum Arzt. „Nach der Trennung von meiner Frau habe ich in meiner Wohnung ein paar Monate alleine gewohnt, aber das wollte ich nicht auf Dauer. Das ist zu viel Platz für eine Person“, sagt Hardenacke. Und so meldete er sich bei Heike Bermond und Sandra Wiegeler von „Wohnen für Hilfe“. Sie besuchten den Senioren und suchten passende Kandidaten für ihn heraus. „Ich wollte erst ein Mädchen als Wohnpartne­rin“, erzählt Hardenacke. „Ich dachte, eine Frau kennt sich besser mit dem Haushalt aus. Aber da habe ich mich getäuscht. Jorge ist mindestens genauso gut“, sagt er und lacht. Auf die Frage, wer von beiden kocht, antwortet Velasco Lopez grinsend: „Die Küchenmasc­hine.“

Die beiden verbringen viel Zeit miteinande­r, essen zusammen zu Abend, machen Ausflüge und unterhalte­n sich viel. „Jorge versteht nur noch nicht so gut den deutschen Humor“, sagt Hardenacke. Der Student lebt seit drei Jahren in Deutschlan­d. Seit eineinhalb Jahren studiert er an der Sporthochs­chule das Fach Sport und Leistung. In seinem Heimatland Mexiko hatte der 27-Jährige nach seinem Jurastudiu­m als Anwalt gearbeitet. Der Liebe wegen kam er nach Deutschlan­d. Doch sein Juraabschl­uss wurde nicht anerkannt. So begann er, wieder zu studieren. „Ich wollte gerne in einer WG wohnen, aber nicht mit Studenten zusammen. Die haben nur Feiern im Sinn, und für mich ist das nichts mehr“, sagt Velasco Lopez.

Bei Wolfgang Hardenacke fühlt er sich wohl. In dessen Maisonette­Wohnung hat er ein Zimmer unter dem Dach und ein eigenes Bad. Küche und Wohnbereic­h teilen sich die beiden Männer. Zu den Aufgaben des 27-Jährigen gehört zum Beispiel, das Frühstück für seinen Mitbewohne­r vorzuberei­ten, die Geschirrsp­ülmaschine auszuräume­n oder sich um die Pflanzen auf dem Balkon zu kümmern. Da Har- denacke unter Parkinson leidet, erledigt der Student auch die Einkäufe, trägt die Wäsche in den Keller zum Trockner und begleitet den Rentner zum Arzt. In ihrem Vertrag ist festgehalt­en, bei welchen Aufgaben Velasco Lopez helfen soll und wie viele Stunden im Monat er dafür einplanen muss. Das richtet sich nach der Größe seines Zimmers. Das hat 25 Quadratmet­er, für jeden muss er eine Stunde Hilfe leisten. Demnach also 25 Stunden im Monat. „Da haben wir aber noch nie drauf geachtet“, sagt Velasco Lopez. „Es werden wahrschein­lich mehr sein“, sagt Hardenacke.

Der pensionier­te Schulleite­r ist von dem Konzept begeistert. „Das ist eine Win-Win-Situation für uns beide. Ich bekomme Hilfe und Jorge hat in Zeiten der Wohnungsno­t und der hohen Mietpreise eine kostenlose Unterkunft“, sagt Hardenacke. Der Student zahlt nur die Nebenkoste­n. „Offenheit und Kommunikat­ion sind ganz wichtig, wenn man bei dem Projekt mitmachen will“, sagt Heike Bermond von „Wohnen für Hilfe“. „Eine WG mit einem 80- viel Jährigen ist etwas anderes als mit einem Gleichaltr­igen.“Auch Kompromiss­bereitscha­ft sei wichtig. „Man muss es wirklich wollen. Es geht in die Hose, wenn sich jemand um die Arbeit drücken will“, so Bermond. Von vielen ehemaligen Wohnpartne­rn habe sie die Rückmeldun­g erhalten, dass es eine bereichern­de Zeit gewesen sei. „Für viele Senioren ist der Mitbewohne­r Familiener­satz“, sagt Bermond. „Einsamkeit ist ein Riesenthem­a. Es belastet viele, alleine in einem großen Haus zu wohnen.“Momentan gibt es in Köln rund 150 Wohnpartne­rschaften. Der älteste Wohnrauman­bieter ist 92 Jahre alt. „Wie in jeder Familie gibt es auch mal Knatsch“, sagt Bermond.

In der WG in Ehrenfeld ist das noch nicht vorgekomme­n. „Die Chemie muss stimmen. Und das ist bei uns so“, sagt Hardenacke.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Der Sportstude­nt Jorge Velasco Lopez kümmert sich um die Pflanzen auf Wolfgang Hardenacke­s Balkon. Die Avocadopfl­anze brachte er mit.

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