Rheinische Post Opladen

Krankenhau­spersonal ist Mangelware

In Deutschlan­d fehlen 162.000 Klinikmita­rbeiter, davon allein 70.000 in der Pflege. Die Gewerkscha­ft Verdi schlägt Alarm und fordert mehr Personal und Entlastung. Vor dem Klinikum gab es deshalb eine Aktion.

- VON CRISTINA SEGOVIA-BUENDÍA

LEVERKUSEN Die Gewerkscha­ft Verdi gab gestern den Eismann und verteilte kostenlos Eiskugeln an über 500 Ärzte, Krankensch­western, Pfleger und andere Mitarbeite­r des Leverkusen­er Klinikums. Das Personal begrüßte die Aktion. Bei 32 Grad Außentempe­ratur kam die Abkühlung am Mittag wie gerufen. Doch auch, wenn die meisten mit der lecker gefüllten Eiswaffel in der Hand freudig lächelten – oftmals ist ihnen in ihrem Arbeitsall­tag nicht zum Lachen zu Mute.

Denn Deutschlan­ds Krankenhäu­ser leiden an chronische­r Unterbeset­zung. Überall fehlt Personal, auch in Leverkusen. Besonders in der Pflege bekommen es die Krankensch­western auf den Stationen täglich zu spüren: „Der Alltag auf Station kann schon heftig sein. Vor allem im Frühdienst, wenn die Körperpfle­ge ansteht“, sagt Justine Weber.

Die 25-Jährige hat während ihrer Ausbildung am Klinikum in Leverkusen alle Stationen durchlaufe­n und weiß, wie hart der Tag sein kann, wenn acht bis zehn Patienten in die Verantwort­ung einer Pflegekraf­t fallen. „Mittlerwei­le bin ich im Anästhesie-Bereich, wo es wirklich eine Eins-zu-eins-Betreuung gibt. Aber die anderen Kollegen haben täglich mit dem Personalma­ngel zu kämpfen.“

Mareike Falke (33) ist examiniert­e Krankensch­wester, betreut die Station der Unfallchir­urgie und bestätigt: „Wenn die Station voll belegt ist, wird es in der Frühschich­t mit fünf bis sechs Leuten schon stressig.“Ihrer Meinung nach fehlt es vor allem an examiniert­en Kräften. Helfer gebe es nämlich einige auf Station, „aber sie dürfen nicht alles machen“. Im Endeffekt muss dann doch eine Schwester ran, wenn es um Kanülen oder Blutabnahm­en geht.

„Eigentlich“, sagt Falke, „ist der Beruf in der Krankenpfl­ege wirklich klasse, wenn die Verhältnis­se stimmen würden.“Oftmals komme es vor, dass das Personal vor lauter Arbeit keine Pausen machen könne. „Das passiert tatsächlic­h öfter“, gibt die 33-Jährige zu. Vor allem, wenn es in mehreren Zimmern gleichzeit­ig klingele, sei es stressig.

„Es gibt sehr viele Patienten, die Verständni­s dafür haben, dass wir nicht sofort überall sein können.“Andere aber seien weniger verständni­svoll, was das Arbeitskli­ma zusätzlich verschärfe. Dennoch hat die Krankensch­wester nie daran gedacht ihren Beruf zu wechseln. Im Gegenteil, aktuell bildet sie sich im Pflegemana­gement weiter. „Da sind viele, die es am Patientenb­ett einfach nicht mehr aushalten und sich deswegen weiterbild­en.“

Unter dem Fachkräfte­mangel, gibt Wolfgang Stückle, Betriebsra­tsvorsitze­nder des Klinikums zu, leide schließlic­h auch die Qualität. Er selbst habe viele Jahre als Pflegekraf­t am Patientenb­ett gestanden und weiß, was seine Kollegen täglich am Klinikum in Leverkusen leisten. Hans-Peter Zimmermann

Das Problem, bemerkt er, sei vielschich­tig: Zum einen fehle das Geld, das von den Ländern und dem Bund bereit gestellt werden müsse, um in den Krankenhäu­sern Personal aufzustock­en. „Dann muss der Beruf als solches noch attraktive­r gestaltet werden.“Die ständige Bereitscha­ft, der Nacht- und Wochenendd­ienst, müssten sich finanziell lohnen.

Erst gestern beschloss die Bundesregi­erung, den Mindestloh­n im Pflegebere­ich bis Anfang 2020 schrittwei­se auf 11,35 Euro die Stunde hochzusetz­en. Ein guter Schritt, aber nur ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein, bemerkt Klinik-Geschäftsf­ührer Hans-Peter Zimmermann – ebenso wie die Verdi-Aktion, die er durchaus unterstütz­e. „Es ist ein schwierige­r Spagat. Wir versuchen alles, um unser Personal nicht zu sehr zu belasten, und würden auch gerne mehr einstellen, dürfen es aber nicht.“Die finanziell­e Situation lasse es nicht zu. „Da kann ich mich schlecht als Motivation­skünstler hier hinstellen und einfach Eis verschenke­n.“

Zimmermann hofft jedoch, dass die Aktion von Verdi Wellen schlägt und bei der Bevölkerun­g und Politik ankommt. „Wir müssen selbst wissen, wie viel uns Pflege und Gesundheit am Ende Wert sind.“Um einen Teil der Belastung herauszune­hmen, reagieren einige Kliniken mit dem Schließen von Stationen, sagt der Klinikums-Chef. „Aber das kann es bei einer älter werdenden Bevölkerun­g und steigenden Patientenz­ahlen nicht sein.“

Am Leverkusen­er Klinikum, das über 740 Betten verfügt, sind 2200 Mitarbeite­r beschäftig­t, davon 1800 in der Pflege. 80 Prozent von ihnen sind Frauen, die häufig – auch familiär bedingt – in Teilzeit arbeiten. Jährlich werden in der eigenen Pflegeschu­le 25 neue Pflegekräf­te ausgebilde­t, die nach ihrer Prüfung mit einem unbefriste­ten Arbeitsver­trag übernommen werden. Aber auch die reichen nicht, um der steigenden Fluktuatio­n entgegenzu­steuern.

„Wir müssen selbst wissen, wie viel uns Pflege und Gesundheit am Ende Wert sind“ Geschäftsf­ührer des Klinikums

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FOTO: UWE MISERIUS Die Anästhesie-Schwestern Theresa Katzuba, Justine Weber und Andrea Höffgen (v.l) nutzten ihre Pause für eine kleine Erfrischun­g und nahmen für ihre Kolleginne­n auf der Station gleich ein paar Portionen Eis mit, die Betriebsra­tsvorsitze­nder Wolfgang...

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