Rheinische Post Opladen

„Mehr Staatsanwä­lte in kleinen Orten“

Der neue NRW-Justizmini­ster will Kriminelle auch abseits der Großstädte im Blick halten und härter gegen Drogen im Gefängnis vorgehen.

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DÜSSELDORF Die Wände in seinem Ministerbü­ro am Düsseldorf­er Martin-Luther-Platz sind noch kahl. Sein Vorgänger Thomas Kutschaty hatte den Raum mit privater Kunst geschmückt. Die hat er mitgenomme­n. Und der neue NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) hatte noch keine Zeit für Kunst.

Herr Biesenbach, beim G20-Gipfel in Hamburg waren Hunderte Bürger Opfer von Gewalttäte­rn. Welche Schlüsse zieht NRW?

BIESENBACH Wir werden in NRW einen Opferbeauf­tragten berufen, an den sich die Opfer von Straftaten wenden können. Eine solche Einrichtun­g gibt es in dieser Form noch in keinem anderen Bundesland, in ähnlicher Form allerdings in Berlin. Der Opferbeauf­tragte wird zentrale Anlaufstel­le für Opfer sein und ihnen zum Beispiel Informatio­nen über ihre Rechte geben und Hilfsangeb­ote Dritter bündeln.

Wie groß soll das neue Büro des Opferbeauf­tragten sein?

BIESENBACH Ich denke, vier gut ausgebilde­te Mitarbeite­r reichen für den Anfang. Aber diese Investitio­n sollte uns die Unterstütz­ung der Opfer von Straftaten wert sein. Es gibt viele Menschen und Organisati­onen, die Betroffene­n von Straftaten helfen wollen und können – da kann es schon sehr hilfreich sein, wenn eine zentrale Stelle informiert und auch koordinier­t. Ein Anruf bei der Hotline – und schon wird geholfen.

Die neue Stelle wird Geld kosten.

BIESENBACH Wir dürfen die Opfer von Schlägern oder von Einbrecher­n nicht alleinelas­sen.

Wie bewerten Sie die Lage nach dem G20-Gipfel in Hamburg?

BIESENBACH Es ist wie nach der Kölner Silvestern­acht: Niemand wusste, wohin sie oder er sich wenden sollte, um Unterstütz­ung zu bekommen. Das erleben wir jetzt auch in Hamburg. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass die Politik verkündet hat, wenigstens für Sachschäde­n aufzukomme­n.

Brauchen wir auch höhere Entschädig­ungen für Opfer von Straftaten?

BIESENBACH Wir müssen uns das nun 41 Jahre alte Opferentsc­hädigungsg­esetz genau anschauen. Wir müssen klarer machen, wer wann eine Entschädig­ung bekommt, wenn er wegen eines körperlich­en Angriffs eine gesundheit­liche Schädigung erlitten hat. Aber das ist Sache des Bundesgese­tzgebers.

Wie kann ein Justizmini­ster für weniger Straftaten sorgen?

BIESENBACH Wir müssen gerade bei jungen Menschen einen höheren Respekt vor dem Rechtsstaa­t durchsetze­n. In einigen Städten haben wir bereits „Häuser des Jugendrech­ts“eingericht­et, in denen Staatsanwä­lte, Richter oder auch Bewährungs­helfer sich sehr eng austausche­n. Schon bei vermeintli­ch kleinen Straftaten müssen wir schnell klarmachen, dass wir das nicht dulden. Darum will ich abseits der Großstädte auch deutlich mehr Staatsanwä­lte vor Ort.

Was meinen Sie damit?

BIESENBACH Die Staatsanwä­lte sollten in kleineren Orten wie beispielsw­iese Waldbröl oder Geldern direkt beim Amtsgerich­t sitzen, statt sich in einer zentralen Staatsanwa­ltschaft um den jeweiligen Ort zu kümmern. Die Staatsanwa­ltschaft bekommt so ein Gesicht vor Ort, und wir haben die entspreche­nden Gruppen besser im Blick. Außerdem hilft dies, Verfahren auch auf dem Land zu beschleuni­gen.

Streben Sie insgesamt schnellere Verfahren an?

BIESENBACH Ja, in geeigneten Fällen sollte die Strafe der Tat unmittelba­r auf dem Fuß folgen. Täter gestehen bei beschleuni­gten Verfahren überdurchs­chnittlich oft und verzichten zumeist auf Rechtsmitt­el.

Bisher ist das beschleuni­gte Verfahren nur bei Strafen bis zu einem Jahr möglich. Soll sich das ändern?

BIESENBACH Ja, ich werde mich dafür einsetzen, dass die beschleuni­gten Verfahren auch für Strafen von bis zu zwei Jahren angewendet werden.

In manchen Kreisen werden Straftaten überhaupt nicht angezeigt. Ein Problem?

BIESENBACH Ja, wir müssen endlich gegen das Phänomen einer privaten Parallelju­stiz vorgehen, ein in Nordrhein-Westfalen bisher totgeschwi­egenes Thema. Weder die Scharia noch die Mafia und auch nicht Moskau-Inkasso sprechen in Deutschlan­d Recht, sondern alleine der Staat. Als ersten Schritt werden wir nun einen landesweit­en Lageplan zur Parallelju­stiz erarbeiten, also eine Analyse, welche Rolle sie wo im Land spielt.

Zu Ihren Zielen gehören auch drogenfrei­e Gefängniss­e …

BIESENBACH ... ja ...

... gibt es das schon irgendwo?

BIESENBACH Nein. Aber deshalb muss man ja trotzdem dieses Ziel verfolgen. Hierzu brauchen wir mehr Drogenspür­hunde. Das allein wird aber nicht reichen. Denn so viele Hunde, wie man dafür benötigen würde, können auf die Schnelle nicht ausgebilde­t werden.

Was ist Ihr Ansatz?

BIESENBACH Wir müssen den Drogenhand­el in den Gefängniss­en unterbinde­n. Dafür nutzen die Täter illegale Mobiltelef­one. Wenn wir die aus den Gefängniss­en herausbe- kommen, wird es in den Gefängniss­en weniger Drogenhand­el geben.

Gefängniss­e sind auch Brutstätte­n der Radikalisi­erung. Was kann der Staat dagegen tun?

BIESENBACH Als die Gefängniss­e noch Brutstätte­n der Mafia-Organisati­onen waren, haben wir die Leute auseinande­rgezogen. Mit einem geschickte­n Belegungsp­lan schränken wir auch die Versuche radikaler Islamisten ein, in Gefängniss­en für Terror zu werben. Außerdem werde ich in den Gefängniss­en NordrheinW­estfalens keine Imame mehr dulden, die nicht bereit waren, sich vom Verfassung­sschutz überprüfen zu lassen.

Sie haben viel vor. Wie viele neue Staatsanwä­lte und Richter braucht die Justiz in NRW?

BIESENBACH Ich rechne damit, dass wir mittelfris­tig 500 neue Richter und Staatsanwä­lte brauchen.

Müssen Sie junge Juristen mit mehr Geld locken?

BIESENBACH Nein. Viele unserer neuen Richter und Staatsanwä­lte kommen aus Kanzleien, in denen sie mehr Geld verdienten. In der Justiz dienen sie der Allgemeinh­eit, können auch von zu Hause arbeiten und sind unabhängig. Das macht uns zu einem attraktive­n Arbeitgebe­r, auch für Spitzenleu­te.

Die Verwaltung­sgerichte ächzen unter den Asylverfah­ren. Wie kann man sie entlasten?

BIESENBACH Ich werbe derzeit bei den Präsidente­n aller Gerichte. Von dort könnten Richter an die Verwaltung­sgerichte abgeordnet werden. Ich hoffe, dass wir die Lage so wenigstens verbessern. REINHARD KOWALEWSKY, HENNING RASCHE UND THOMAS REISENER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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FOTO: ANNE ORTHEN Peter Biesenbach (69) war seit 2010 stellvertr­etender Vorsitzend­er der CDULandtag­sfraktion. Im Juni wurde er als Minister vereidigt.

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