Rheinische Post Opladen

Wahlkampf mit Erdogan

Die Türkei-Krise bestimmt die Tagesordnu­ng auch in der Innenpolit­ik. Der Außenminis­ter versichert den Deutsch-Türken seine Solidaritä­t. CSU und SPD fordern Härte gegen Ankara, der Bundespräs­ident stützt die Regierung.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Der verschärft­en Tonart der Bundesregi­erung gegenüber der Türkei wollen deutsche Spitzenpol­itiker nun weitere Konsequenz­en folgen lassen. Sowohl der CSU-Vorsitzend­e Horst Seehofer als auch SPDKanzler­kandidat Martin Schulz forderten, die Finanzhilf­en einzufrier­en, die die EU im Rahmen der Beitrittsv­erhandlung­en zahlt. „Das sind konkrete Maßnahmen, die man sofort ergreifen kann“, sagte Schulz. Bei den EU-Beitrittsh­ilfen handelt es sich um 4,45 Milliarden Euro, die bis 2020 fließen sollen. Allerdings können die Hilfen nur eingestell­t werden, wenn auch die Beitrittsv­erhandlung­en offiziell eingefrore­n werden.

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier stützte überrasche­nd konkret und deutlich den Kurs der Bundesregi­erung in der Türkei-Frage. Bezogen auf Erdogan sagte er im ZDF: „Viele, die in diesem Staat kooperativ auch mit ihm und seiner Partei in den letzten Jahren gearbeitet haben, werden jetzt verfolgt, werden ins Gefängnis gesteckt, werden mundtot gemacht. Und das können wir nicht hinnehmen.“Das sei auch eine Frage der „Selbstacht­ung unseres Landes“.

Die Bundesregi­erung hatte in der vergangene­n Woche verschärft­e Reisehinwe­ise für die Türkei ausgesproc­hen und wirtschaft­liche Konsequenz­en angekündig­t. Damit reagierte Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) auf die Verhaftung des deutschen Menschenre­chtsaktivi­sten Peter Steudtner. Schon seit Monaten fordert die Bundesregi­erung auch die Freilassun­g des deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel. Zusätzlich­e Verstimmun­g hatten in jüngster Zeit Besuchsver­bote für Bundestags­abgeordnet­e auf den Militärstü­tzpunkten nahe den türkischen Städten Incirlik und Konya ausgelöst.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wies die anhaltende Kritik aus Deutschlan­d zurück. „Niemand hat das Recht, sich in innere Angelegenh­eiten der Türkei einzumisch­en“, sagte Erdogan in Istanbul. Er warf Deutschlan­d vor, den Bundestags­wahlkampf auf Kosten der Türkei zu betreiben. Eine weitere Eskalation des Konflikts vermied der türkische Präsident und erinnerte an gemeinsame Interessen: „Wir sind zusammen in der Nato. Wir sind ein Beitrittsk­andidat der EU“, sagte er.

Rückendeck­ung für die harte Linie der Bundesregi­erung gegenüber der Türkei kam aus der Europäi- schen Union nur vereinzelt. „Die Reaktion Deutschlan­ds ist verständli­ch“, sagte EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn der „Welt“. Trotz gegenteili­ger Rhetorik bewege sich die Türkei de facto immer weiter weg von europäisch­en Standards. Österreich­s Außenminis­ter Sebastian Kurz, der schon lange einen Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei fordert, sieht sich vom neuen Kurs der Deutschen bestätigt. Er begrüße es, dass Außenminis­ter Gabriel „seine Beurteilun­g der Lage und den Umgang mit der Türkei nun endlich überdacht hat“, sagte Kurz der „Welt am Sonntag“.

Der Chef der europäisch­en Grünen, Reinhard Bütikofer, verwies im Gespräch mit unserer Redaktion darauf, dass der Konflikt zwischen Berlin und Ankara wegen der großen Zahl türkischst­ämmiger Menschen in Deutschlan­d „spezifisch“sei. „Dass sich die anderen europäisch­en Regierunge­n gegenüber dieser Auseinande­rsetzung zurückhalt­en, lässt sich teilweise damit erklären“, sagte Bütikofer. Zudem werde möglicherw­eise die verschärft­e Tonart der Bundesregi­erung, vor allem des deutschen Außenminis­ters, als Teil des deutschen Wahlkampfs wahrgenomm­en, in den sich die anderen Regierunge­n nicht hineinzieh­en lassen wollten. Zur fehlenden Unterstütz­ung der Deutschen innerhalb des Militärbün­dnisses sagte Bütikofer: „Der Nato-Generalsek­retär ist mit öffentlich­en Äußerungen sehr vorsichtig gegenüber der Türkei. Ich vermute, er will vor allem keinen Vorwand schaffen für eine weitere Entfremdun­g Ankaras vom Bündnis und noch mehr Annäherung Erdogans an Putin.“

Die deutsche Öffentlich­keit fordert einen harten Kurs gegenüber der Türkei. So hatten zum Beispiel 76 Prozent der Befragten in einer Emnid-Umfrage der Einschätzu­ng zugestimmt, dass sich die Bundesregi­erung von Präsident Erdogan zu viel gefallen lasse.

Gegenüber den in Deutschlan­d lebenden Türken schränkte Außenminis­ter Gabriel seinen harten Türkei-Kurs ein. „Sie, die türkischst­ämmigen Menschen in Deutschlan­d, gehören zu uns – ob mit oder ohne deutschen Pass“, schrieb Gabriel in einem offenen Brief auf Deutsch und Türkisch in der „Bild“-Zeitung.

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FOTO: DPA

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