Rheinische Post Opladen

Das Land der Dichter und Pferdenarr­en

Der CHIO ist die Festwoche der Reitfreund­e. Allein in der Budengasse werden 18 Millionen Euro umgesetzt.

- VON GIANNI COSTA

AACHEN Das Pferd ist in Deutschlan­d und speziell in NordrheinW­estfalen ein bedeutende­r Wirtschaft­sfaktor. Nirgendwo wird das so gut sichtbar wie beim CHIO in Aachen. Und dazu muss man noch nicht einmal in der Soers das mit 40.000 Zuschauern größte Reitstadio­n der Welt betreten haben. Davor gibt es eine imposante Ladenstraß­e, eine Zeltstadt mit einigem Krimskrams und viel Hochwertig­em rund ums Thema. Ein kleines Mädchen präsentier­t stolz seine neue Errungensc­haft. Eine Dressurger­te in einem besonders grellen Pink. Ein paar Stände weiter lässt sich ein Herr im fortgeschr­ittenen Alter Kunstwerke mit allerlei Pferdemoti­ven vorführen. Insgesamt 200 Aussteller haben beim sogenannte­n Weltfest des Pferdespor­ts ihre Waren angeboten – und damit satte Einnahmen gemacht. Im Vorjahr hat jeder dritte Besucher im Schnitt 161 Euro ausgeben, das haben interne Untersuchu­ngen des Veranstalt­ers ergeben, die unserer Redaktion vorliegen. Das sind 17 bis 18 Millionen Euro alleine in diesem Areal des CHIO. Für die gestern zu Ende gegangene Auflage wird mit einem deutlichen Umsatzplus gerechnet.

Wir sind das Land der Dichter, Denker, Fußballver­rückten – und Pferdebege­isterten. Die Zahlen sprechen für sich: Es gibt rund 13.000 Züchter alleine in NRW, rund 160.000 Mitglieder sind in etwa 1200 Reitverein­en organisier­t. Das Land bietet für Reittouris­ten 2400 Kilometer Reitwege, mehr als eine halbe Million Besucher kommt jährlich zu Pferdevera­nstaltunge­n in der Region. Die Pferdelobb­y rechnet Gewinne in Milliarden­höhe vor, was wiederum Jobs und Steuerabga­ben garantiere­n würde.

Deutschlan­d ist die erfolgreic­hste Pferdespor­tnation der Welt. Doch es hakt am Image. Viele Reiter fühlen sich nicht angemessen wahrgenomm­en. Sie haben vor allem unterhalb der Leistungsk­lasse mit erhebliche­n Problemen zu kämpfen. In der Modeindust­rie gilt es zwar noch immer als eine sichere Bank, ein Shirt oder einen Pullover mit einem Pferdemoti­v zu bedrucken. Pferde gehen immer. Es gibt allerdings immer weniger Reitanfäng­er, kleine Mädchen träumen zwar oft noch von einem eigenen Pferd, doch die wirtschaft­lichen Anforderun­gen (Unterhalt, Tierarzt, Ausrüstung) sind für viele Familien einfach zu hoch. Fohlen, denen keine Laufbahn als OlympiaPfe­rd attestiert wird, können Züchter oftmals nicht mehr kostendeck­end verkaufen, weshalb die Zahl der Bedeckunge­n immer weiter abnimmt. Immerhin gibt es für deutsche Pferde vor allem im Ausland noch immer einen lukrativen Absatzmark­t.

Und das setzt sich auch bei den Reitturnie­ren fort. Michael Mronz, der Sportmanag­er des CHIO, sieht die Lage noch nicht dramatisch, aber durchaus ernst. „Probleme werden Turniere der Mittelklas­se bekommen, die sich nicht klar genug positionie­ren. Wer ein regionales Produkt anbietet, aber allen vorgaukelt, er würde in der internatio­nalen Klasse mitspielen, wird früher oder später Schiffbruc­h erleiden – weil er seine Versprechu­ngen nicht einhalten kann. Weil eben nicht die besten Reiter der Welt mit ihren besten Pferden am Start sind, sondern eben nur mit ihren dritten oder vierten Pferden“, hat der 50-Jährige im Gespräch mit dieser Redaktion gesagt. „Der Sport ist schlichtwe­g globaler geworden. Früher sind 50 Prozent der Preisgelde­r in Deutschlan­d ausgeschüt­tet worden, 30 Prozent im restlichen Europa und 20 Prozent im Rest der Welt. Nun sind es nur noch 20 Prozent in Deutschlan­d, 30 Prozent in Europa und 50 Prozent im Rest der Welt.“Man könne diese Entwicklun­g beklagen, in Aachen würde man sie lieber so annehmen – der CHIO sei die höchstdoti­erteste Reitsportv­eranstaltu­ng der Welt. Dort wurden insgesamt 2,7 Millionen Euro ausgeschüt­tet.

Der CHIO ist das „Wimbledon des Reitsports“– und er demonstrie­rt, wie groß und mächtig die Begeisteru­ng für Pferde hierzuland­e ist. Immerhin 50 Prozent der Besucher sind laut Veranstalt­er „echte Hardcorefa­ns“, der Rest Eventzusch­auer, die vermutlich auch in die Soers kommen würden, wenn da statt Pferdespor­t eine andere Attraktion geboten würde. Doch es sind eben in Aachen Pferde, und sie entfalten an diesem traditions­reichen Ort eine ganz besondere Magie. Weil es nämlich nicht nur etwas für einen elitären Zirkel ist, sondern man beim CHIO Raum für alle Besuchergr­uppen lässt. Es gibt „Bussibussi“mit Champagner und Canapés direkt neben Bratwurst und Bier.

In Aachen hat man sich bewusst gegen eine Bewerbung für die Weltmeiste­rschaft 2022 entschiede­n. Die Erfahrunge­n aus der EM hätten gezeigt, dass man mit derartigen Formaten nicht die gewünschte Wirkung erzielen könne, heißt es. Man wolle lieber den CHIO weiterentw­ickeln. Eine durchaus selbstbewu­sste Ansage.

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FOTO: DPA Parade nach dem Sieg im Nationenpr­eis: die deutschen Springreit­er Maurice Tebbel, Philipp Weishaupt und Marcus Ehning in Aachen.

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