Rheinische Post Opladen

Hoher Besuch für die „Königin“aus Stahl

Die Müngstener Brücke gilt als technische­s Meisterwer­k. Das war schon bei der Eröffnung 1897 so, als ein echter Hohenzolle­rn-Prinz dem bergischen Wahrzeiche­n seine Aufwartung machte.

- VON MARTIN OBERPRILLE­R

Der Kaiser selbst war zwar verhindert gewesen. Doch dafür hatte Wilhelm II. standesgem­äßen Ersatz aus dem fernen Berlin ins Bergische Land entsandt. Als die Müngstener Brücke am 15. Juli 1897, also fast auf den Tag genau vor 120 Jahren, feierlich ihrer Bestimmung übergeben wurde, da war das Haus Hohenzolle­rn durch Seine Königliche Hoheit Prinz Friedrich Leopold von Preußen vertreten – und die Presse hernach förmlich aus dem Häuschen.

Der Prinz, ein Schwager des Kaisers, habe „dem denkwürdig­em Feste eine höhere Weihe“verliehen, hieß es später, indes der Autor dieser Zeilen geflissent­lich verschwieg, dass die Reise Friedrich Leopolds nach Solingen und Remscheid am Hofe doch wohl eher als eine Art Strafexped­ition in den „Wilden Westen“Preußens verortet worden war. Denn schließlic­h galt der Prinz aufgrund zahlreiche­r Skandale als so etwas wie das Enfant terrible der kaiserlich­en Familie – und das Bergische Land im Übrigen als eine besonders aufsässige Industrieg­egend.

Davon war an jenem 15. Juli 1897 allerdings nichts zu spüren. Im Gegenteil, als Friedrich Leopold am Morgen um 9.55 Uhr überpünktl­ich und von Remscheid kommend in Solingen eintraf, war bereits die ganze Stadt auf den Beinen sowie alle Schaufenst­er festlich geschmückt. Wobei es alsdann vom alten Bahnhof Solingen-Süd schon kurze Zeit später über die neue Müngstener Brücke zurück in die Nachbarsta­dt ging, so dass der hohe Besuch aus der Hauptstadt ausgiebig Gelegenhei­t hatte, ein echtes technische­s Wunder der damaligen Epoche in allen Einzelheit­en zu bewundern.

Die Müngstener Brücke, 107 Meter hoch, 465 Meter lang, rund 370 Tonnen schwer und von dem Architekte­n Anton von Rieppel in nur dreijährig­er Bauzeit errichtet, setzte fortan Maßstäbe. Und wurde im Verlauf der Jahrzehnte nicht allein zu einem integralen Bestandtei­l des Verkehrs in der Region, sondern als „Königin“der Stahlbrück­en überdies zu einem Wahrzeiche­n, das den Menschen bis heute viel bedeutet.

Das wurde klar, als die Bahn als Eigentümer­in vor ein paar Jahren mit dem Gedanken spielte, den Bau durch eine neue Brücke zu ersetzen. Der Plan scheiterte am Widerstand der Bürger, so dass die Brücke nun bis 2018 saniert wird und sogar Weltkultur­erbe werden soll. Und der Kaiser kam übrigens auch noch nach Solingen. 1899 besuchte Wilhelm II,. die Brücke, die später sogar für eine Weile seinen Namen trug.

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