Rheinische Post Opladen

Bulgariens Hinterland

Die Türkei schwächelt, Bulgarien läuft gut. Das Land am Schwarzen Meer ist vor allem für günstigen All-Inclusive-Urlaub bekannt. Doch ein Streifzug durch die Küstenregi­on und das Hinterland zeigt: Für Urlauber gibt es noch mehr zu entdecken.

- VON ARND PETRY

„Das hier ist das Ende der Welt“, sagt Gergana Ivanova. Die junge Frau betreibt wortkarg und mit zurückhalt­ender Freundlich­keit das kleine Hotel „Trite Kestena“in Kamen Bryag. Ein Dutzend Zimmer, die Nacht weniger als 20 Euro – ohne Frühstück. Das kostet extra im verpachtet­en Restaurant des Hotels. Besonders engagiert ist die Frau nicht, sie kann es sich leisten. In der Vorsaison ist das Hotel ihrer Familie das einzige hier, das offen ist. Und wirklich voll wird es eigentlich auch nur im Hochsommer.

Bislang verirren sich nur ein paar Touristen hierher: Sie stammen hauptsächl­ich aus Rumänien. „Ab und zu kommen auch Deutsche“, sagt Gergana Ivanova. Und die haben wahrschein­lich alle den gleichen Bulgarien-Reiseführe­r im Gepäck. „Der schönste Ort an der Küste“, heißt es dort. „Hiddensee am Schwarzen Meer“, könnte man schreiben. Bulgarien? Warum nicht. Das EULand am Schwarzen Meer hat mehr zu bieten als Bettenburg­en und billigen Schnaps. Zwischen dem 70-Seelen-Dorf Kamen Bryag und den Kalkfelsen am Meer dehnt sich ein grüner Gräsertepp­ich aus, verziert mit roten, gelben und violetten Blüten. Darüber ein weiter Himmel, der klarer und blauer erscheint als anderswo.

Eine kurze Küstenwand­erung führt südlich von Kamen Bryag zur Ausgrabung­sstätte Yailata. Neben den Mauern ei- ner byzantinis­chen Festung aus dem fünften Jahrhunder­t sind vor allem die angeblich mehr als 100 Höhlen interessan­t. Das eigentlich Beeindruck­ende ist aber immer wieder die Landschaft: die Weite und die Leere. Die Besucher lassen sich an einer Hand abzählen.

Auf halbem Weg zwischen Yailata und dem Kap Kaliakra, das sich im gleichnami­gen Naturpark wie ein 70 Meter hoher Keil zwei Kilometer weit ins Schwarze Meer streckt, hat die Steilküste eine Lücke. Dort liegt, wie eine Sichel aus Sand, der kleine Strand von Bolata.

Die Steppen am Kap Kaliakra und die Feuchtgebi­ete der nördlichen Schwarzmee­rküste Bulgariens sind daher schon lange in den Katalogen von Reiseveran­staltern zu finden, die sich aufs Bird-Watching spezialisi­ert haben. In den Sommermona­ten – die Zugvögel sind lange durch – sind am Strand ausschließ­lich Einheimisc­he unterwegs. Um hierher zu finden, muss man sich auskennen. Abenteuerl­ust und vor allem ein guter Orientieru­ngssinn sind auch in den Wäldern Bulgariens erforderli­ch. Ausgewiese­ne Wanderrout­en gibt es zwar im Strandzha-Naturpark und auch im Naturpark Zlatni Pyasatsi, dessen Höhenzüge unmittelba­r hinter den in Deutschlan­d als Goldstrand beworbenen Bettenburg­en aufsteigen.

Das Problem hier wie dort: Für mehr als für ein paar Infotafeln am Busparkpla­tz vor dem gut besuchten Felsenklos­ter Aladzha oder dem Platz vor der Kirche des Museumsdor­fes Brashlyan hat das Geld aus der der EU-Regionalfö­rderung offensicht­lich nicht gereicht. Nach wenigen hundert Metern verlieren sich die Wegweiser im Wald. Der Preis für die schlecht gewartete Infrastruk­tur: schöne Wälder.

Stranzha ist der größte Naturpark Bulgariens. Die von Flüssen durchzogen­e Hügellands­chaft erstreckt sich entlang der Grenze zur Türkei bis ans Schwarze Meer. Die dichten Wälder aus Buchen, Traubeneic­hen und immergrüne­n Lorbeergew­ächsen sind heute ein Rückzugsra­um für viele seltene Tier- und Pflanzenar­ten. Das lässt sich auch über den Naturpark Sinite Kamani sagen. Die „Blauen Steine“– so der Name auf Deutsch – repräsenti­eren die östlichen Ausläufer des Balkangebi­rges. Nach drei Stunden Einsamkeit zwischen Wald und Felsen ist das Ziel erreicht: der Ferienort Karandila. Besser: zwei offene Pensionen, eine handvoll geschlosse­ne Anlagen plus ein verlassene­r Ferienkomp­lex aus sozialisti­schen Zeiten. Dazu ein alter Sessellift. In den Alpen wird so eine alte Anlage wohl nicht mehr in Betrieb sein. Hier können Nostalgike­r damit noch gen Tal schweben.

Eine der Pensionen in Krandila wird von Kristina Zwetilowa und ihrem Mann geführt. Sie spricht Deutsch. Das habe sie 1973 in der Schule gelernt. Nach wenigen Minuten bringt sie das Dilemma Bulgariens auf den Punkt: „Alles ist eigentlich gut. Aber unsere Bosse im Parlament, die sind...“Sie verdreht die Augen. „Arbeiten, arbeiten, kein Geld.“Sie sei 64 und wolle eigentlich auch weg, am liebsten nach Deutschlan­d. „Aber wenn Deutsche jetzt kommen – auch gut.“

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FOTOS (2): ARND PETRY Das Balkangebi­rge beim Sliven-Naturpark ist touristisc­h noch keine große Nummer.
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Die Altstadt von Nessebar liegt im Schwarzen Meer.

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