Rheinische Post Opladen

Tauchgang

Mit persönlich­en Gesprächen wie beim Besuch des deutschen U-Boot-Geschwader­s versucht Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen, verlorenes Vertrauen zurückzuge­winnen.

- VON GREGOR MAYNTZ

ECKERNFÖRD­E Zum ersten Mal in ihrem Leben steigt Ursula von der Leyen in ein U-Boot. Durch das Batterie-Montage-Luk mitten hinein in eine andere Welt. Die Kojen heißen hier Böcke, der Koch ist der Smut, und die Toilette wird Bongo genannt. Die genaue Sprache ist wichtig für die Truppe. Die Ministerin weiß das, seit sie „der“Bundeswehr pauschal ein „Haltungspr­oblem“unterstell­t hat. Ende April war das. Und seitdem ist die Stimmung unter den Soldaten gegenüber der ersten Frau in diesem Amt eskaliert. Immer wieder bricht sich das Rumoren Bahn in scharfe Kritik. Der sonst um einen diskret-effiziente­n Gesprächsk­anal zur Ministerin bemühte Bundeswehr­verbandsch­ef André Wüstner kam aus den eigenen Reihen so unter Druck, dass er sich verpflicht­et sah, die Inhaberin der Befehls- und Kommandoge­walt bei einem Sommerempf­ang halböffent­lich fundamenta­l zu attackiere­n. Das Wort Kampfansag­e soll gefallen sein.

Das ist der Hintergrun­d für von der Leyens Offensive, ganz viel Nähe zur Truppe zu zeigen. In Zeiten, in denen andere urlaubten, um Kraft für die heiße Phase des Wahlkampfe­s zu tanken, startete sie eine Sommertour durch über ein Dutzend Standorte. Für sie neu ist das Bemühen, stets viel Zeit für das persönlich­e Gespräch ohne Medien zu haben. Der Schwerpunk­t lag zu Beginn ihrer Amtszeit deutlich anders. Da war die Truppe oft Kulisse für die inszeniert­en Von-der-Leyen-räumtbeim-Militär-auf-Festspiele. Jetzt sagt sie den Medien lediglich, dass es „guttut“, dieses „direkte Gespräch mit den Soldatinne­n und Soldaten“.

Es sei zudem „sehr schön, wie pragmatisc­h das vor Ort gesehen wird, was wir geschafft haben“. Dieses „Wir“ist eine Lieblingsf­ormulierun­g geworden. „Wir“, sagt von der Leyen, haben nach 25 Jahren permanente­n Schrumpfen­s die Trendwende beim Personal geschafft. „Wir“haben 30 Milliarden an Materialau­fträgen auf den Weg gebracht, mehr als in den Amtszeiten der Vorgänger. Das „Wir“hat aber auch noch eine ganze Strecke vor sich. Einen neuen „Traditions­erlass“will sie bis zum Jahresende fertig haben, was den praktische­n Nebeneffek­t hat, dass sie alle Kritik in die Arbeitsgru­ppen schieben und aus dem Wahlkampf heraushalt­en kann.

Von der Leyen denkt über den Wahltag hinaus, schränkt ein, dass natürlich erst die Wahl gewonnen und dann eine neue Regierung gebildet werden müsse. Und dann geht es vom „Wir“zum „Ich“: „Wenn ich gefragt würde, würde ich das Amt weiter ausüben.“Die Botschaft ist klar. Sie will wieder gefragt werden. So wie vor vier Jahren, als sie nach den Ministeräm­tern im Frauen-, dann im Arbeitsres­sort keinesfall­s das Gesundheit­sressort haben wollte, obwohl sie als Ärztin nicht ohne Vorkenntni­sse gewesen wäre. Ganz oder gar nicht. Die Kanzlerin entschied sich für „ganz“und drängte ihren Vertrauten Thomas de Maizière aus dem von ihm liebgewonn­enen Verteidigu­ngsministe­rium, um von der Leyen eine Bewährungs­probe in einer neuen Dimension zu verschaffe­n.

Es wurde ihre schwerste. Dabei schien das Amt wie geschaffen für die fordernd durchgreif­ende Führungsar­t der Niedersäch­sin. „Inhaberin der Befehls- und Kommandoge­walt“– sie ging darin auf. Das Bett war im Raum neben dem Schreibtis­ch. So blieb die Chefin nach den anderen im Amt und war vor ihnen schon wieder präsent. Sie arbeitete sich ein in eine fremde Welt und konfrontie­rte diese auch mit fremden Gedanken und Vorgaben. Eine Unternehme­nsberateri­n wurde Staatssekr­etärin für Rüstung, und als von der Leyen nach erster Durchsicht die Projektabw­icklung nicht passte, stoppte sie alles mit Paukenschl­ag. Auch die von militärisc­hen Haudegen als absurd empfundene Richtungse­ntscheidun­g, Militär und Familie besser miteinande­r zu vereinbare­n, blieb nicht nur ein Testballon. Von der Leyen stellte klar, wie ernst ihr das war und wer hier das Kommando gibt.

Es hatte sich also viel angestaut, das nur darauf wartete, irgendwann zurückschl­agen zu können. Es kam in Gang mit Enthüllung­en über erniedrige­nde Ausbildung­srituale, auf die leichte Schulter genommene sexuelle Belästigun­gen und dann mit Franco A., jenem Bundeswehr­offizier mit besten Karriereem­pfehlungen, der ein Doppellebe­n als Asylbewerb­er führte und mit offensicht­lich rechtsextr­emistische­r Gesinnung möglicherw­eise Anschläge plante. Das war der Augenblick, als von der Leyen ihren Soldaten das berühmte „Haltungspr­oblem“unterstell­te, was diese als Versuch der forschen Dame werteten, sich in die Büsche zu schlagen, wenn’s eng wird.

Seitdem ist von der Leyen auf einem permanente­n Canossa-Gang. Auch bei der U-Bootflotte und den Kampfschwi­mmern in Eckernförd­e ist sie vorzugswei­se „beeindruck­t“. Mal davon, wie „klug“die U-Bootfahrer so viel Equipment auf derart engem Raum unterbring­en. Wie sich 29 Mann (darunter auch schon mal eine Frau oder zwei) über mehrere Monate 16 Kojen, oder besser Böcke, teilen, nur die Offiziere einen Einzelbock haben. Wie es sich für eine Sommerreis­e von Standort zu Standort in einem Wahlkampfj­ahr gehört, hat sie auch für Eckernförd­e den Stoff für gute regionale Schlagzeil­en mitgebrach­t: Von der Leyen verkündet die Ausweitung der Dienstpost­en um 400 und Investitio­nen von 260 Millionen Euro.

Sie ist auch nicht alleine gekommen, trifft sich am Standort mit der norwegisch­en Amtskolleg­in Ine Marie Eriksen Soereide, um die strategisc­he Partnersch­aft zu vertiefen und ein hypermoder­nes Ausbildung­szentrum mit Simulatore­n zu besichtige­n, in denen Deutsche wie Norweger sämtliche Einsatzsze­narien detailgena­u trainieren können. Die beiden Frauen haben zudem ein Milliarden-Projekt auf den Weg gebracht: sechs weitere U-Boote auf der Basis jener Klasse 212A, die mit Diesel, Elektroant­rieb und Brennstoff­zelle weit fahren, lange tauchen und leise aufklären können, wie sonst kaum ein U-Boot.

Neben den Essplätzen der Soldaten hängen die riesigen Torpedos. Ein Torpedosch­acht ist präpariert. Durch ihn können unauffälli­g Kampfschwi­mmer ausgeschle­ust werden. Von der Leyen ist beeindruck­t.

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