Rheinische Post Opladen

Marke Nagelsmann

- VON PATRICK SCHERER UND KARSTEN KELLERMANN

HOFFENHEIM/DÜSSELDORF Im deutschen Sprachgebr­auch gibt es so genannte Deonyme. Das sind generalisi­erte Markenname­n. So wird landläufig um ein Tempo gebeten statt um ein Taschentuc­h. Oder um Uhu statt um Klebstoff. Im Fußball gibt es das neuerdings auch. Das Deonym lautet: Nagelsmann. Es steht für einen sehr jungen, sehr modernen Trainer mit neumodisch­em Konzept, der sich als Spieler keinen großen Namen gemacht hat. Julian Nagelsmann, 30, Chefcoach von Bundesligi­st Hoffenheim, hat sich nicht nur in der Bundesliga etabliert. Nein, er ist zur Marke geworden und hat damit ganz nebenbei für junge Kollegen den Türöffner zur Beletage des deutschen Fußballs betätigt. Heute erreicht Nagelsmann­s Trainerkar­riere ihren vorläufige­n Höhepunkt: An der Anfield Road kämpft Hoffenheim gegen den FC Liverpool im Play-offRückspi­el um den Einzug in die Gruppenpha­se der Champions League (20.45 Uhr/ZDF/Hinspiel 1:2).

Nicht wenige Experten und Fans schütteln den Kopf, als die TSG Hoffenheim ankündigt, Julian Nagelsmann zur Saison 2016/17 den Job als Bundesliga-Cheftraine­r anzuvertra­uen. Der kann sich doch keinen Respekt bei seinen – teils älteren – Spielern erarbeiten, oder? Doch, er kann. Nagelsmann übernimmt die TSG – ein paar Monate früher als geplant – im Februar 2016 auf Platz 17 und sichert als jüngster Trainer der Bundesliga-Historie den Klassenerh­alt. Ein Jahr später bejubelt das Kraichgau Platz vier und

Julian Nagelsmann (30) hat für junge Kollegen die Tür zur Bundesliga geöffnet. Berti Vogts verteidigt die alte Garde.

reist an die Anfield Road – mit Nagelsmann, der von Journalist­en zum Trainer des Jahres 2017 gewählt wird.

Es ist eine Erfolgsges­chichte, die Auswirkung­en weit über Hoffenheim hinaus hat. Während renommiert­e Vereine den Namen Nagelsmann weit oben in ihren Notizbüche­rn vermerken – allen voran der FC Bayern –, haben sich andere Vereine auf die Suche nach einem Klon begeben. Das passt nicht allen. „So leicht wie heute, Bundesliga-Trainer zu werden, war es noch nie“, sagt Armin Veh, 56 Jahre, Meister mit dem VfB Stuttgart 2007, derzeit ar- Berti Vogts beitslos. Er habe zwar auch im Alter von 29 Jahren als Trainer angefangen. „Aber ich musste schon dreimal Meister werden und aufsteigen, bis ich dann eine Chance bekommen habe in der Bundesliga.“

Als Veh Meistertra­iner war, lag das Durchschni­ttsalter eines Erstligatr­ainers bei 48,5 Jahren. Heute sind es 44,5. Laut „weltfussba­ll.de“kamen die Übungsleit­er vor zehn Jahren auf zusammen 1674 Bundesliga-Partien als Spieler. Aktuell sind es 989. Dafür sorgen neben Nagelsmann vor allem Domenico Tedesco (Schalke/31), Hannes Wolf (Stuttgart/36), Manuel Baum (Augsburg/ 37), Alexander Nouri (Bremen/38) und Sandro Schwarz (Mainz/38). Eine junge Garde weitgehend Unbekannte­r.

Berti Vogts (70) gab im Gespräch mit unserer Redaktion zu bedenken: „Man sollte in der Debatte nicht vergessen, dass die gestandene­n Trainer, ob früher Weisweiler oder Lattek oder heute Veh, etwas aufgebaut haben, das dem deutschen Fußball gutgetan hat. Bei den jungen Trainern muss man erst mal abwarten, wohin die Reise geht. Noch keiner aus der jungen Trainergen­eration hat irgendeine­n Titel geholt oder einen Spieler zum Weltklasse­spieler ausgebilde­t“, betont der Europameis­ter-Coach von 1996.

Gladbachs Trainer Dieter Hecking (52) sagt: „Vor eineinhalb Jahren wurde gesagt: Thomas Tuchel, Markus Weinzierl, Roger Schmidt sind die Trainer der Zukunft. Durch die Ereignisse der vergangene­n Saison werden sie plötzlich anders gesehen. Mir wird da manchmal zu schnell endgültig geurteilt, positiv wie negativ.“

In Hoffenheim ist man jedenfalls begeistert von Nagelsmann­s Innovation­sgeist. Im vergangene­n Jahr ließ er das Training von einer Drohne filmen, in diesem Sommer installier­te er neben dem Platz eine riesige Videowand, um dem Team seine Analysen direkt auf dem Rasen mitzugeben. „Grundsätzl­ich gilt: Es gibt nicht junge oder alte Trainer. Was einzig zählt, ist der Erfolg“, sagt Vogts. „Darum werden auch erfahrene Trainer heute mit einem Team arbeiten und nicht mehr allein.“

„Keiner aus der jungen Trainergen­eration hat einen Titel geholt“ Europameis­ter-Trainer von 1996

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FOTO: DPA Julian Nagelsmann

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