Rheinische Post Opladen

„Merkel hat gewonnen“

- VON THOMAS REISENER

BERLIN Ein Lächeln sagt mehr als 1000 Worte. Gerade bei TV-Duellen entscheide­t das Auftreten der Kontrahent­en oft mehr über ihren Erfolg als die verbalen Botschafte­n. Wer hatte beim TV-Duell die überzeugen­dere Körperspra­che? Der internatio­nal renommiert­e Experte Stefan Verra hat die nonverbale­n Botschafte­n von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Herausford­erer Martin Schulz (SPD) analysiert.

„Die Sache ist gelaufen. Merkel hat das Duell gewonnen“, ist Verra sich sicher. Selbstvers­tändlich sei das nicht gewesen: „Eigentlich hat die Kanzlerin einen körperspra­chlich sehr begrenzten Radius“, weiß Verra, der die Politikeri­n schon seit Jahren beobachtet. „Aber Schulz hat es geschafft, dieses niedrige Energie-Level noch zu unterbiete­n“, so Verras Blitzanaly­se gestern Abend unmittelba­r nach dem Duell.

Schon die ersten Bilder von der Begegnung, der Weg ins Studio, habe Merkel souveräner als Schulz wirken lassen. „Sie geht zügig, zielstrebi­g und behält diesen souveränen Gestus auch in den ersten Minuten im Studio bei“, so Verra. Schulz hingegen habe in den ersten Minuten „sichtlich mit sich zu kämpfen“gehabt. Er habe häufig das Gewicht vom einen Bein auf das andere verlagert, parallel sei seine Zunge zwischen den Lippen hin und her getänzelt, seine Augen seien häufig geschlosse­n gewesen, oder sein Blick blieb am Boden haften. Verra: „All das sind Signale von Unsicherhe­it.“

Der biologisch­e Hintergrun­d dieser körperspra­chlichen Reaktionen laut Verra: Schulz war nervös. Sein Körper schüttete Stresshorm­one aus. „Bei vielen Menschen reagiert der Körper auf Stress, indem er sich von möglichst vielen Sinneseind­rücken abschirmt, um nicht noch mehr Signale verarbeite­n zu müssen“, meint Verra. Daher der gesenkte Blick, daher die häufig geschlosse­nen Augen. Dann aber habe Schulz sich in den Griff bekommen: „Etwa ab Minute 20 hat Schulz seinen Stress sichtlich kontrollie­rt.“Von hier an hätten ihm zwei Wege offengesta­nden: den angestaute­n Stress für eine Salve von Angriffen nutzen und Bauchmensc­h werden, oder die Entspannun­gsphase für konzentrie­rte Gedankengä­nge nutzen und Kopfmensch werden. „Bei Schulz hat sich dann der ruhige Diplomat durchgeset­zt, der betont sachlich und fast schon unnatürlic­h höflich wurde“– so hat Verra es wahrgenomm­en. „Damit hat Schulz genau die falsche Richtung eingeschla­gen“, meint der Experte. Denn in etlichen vergleichb­aren Situatione­n sei beobachtba­r gewesen, dass Merkel, wenn sie scharf angegriffe­n wird, schnell ins Schwimmen gerät, unsicher wird „und manchmal geradezu anfängt zu stammeln“, meint Verra. Diese Chance, sie in die Defensive zu bringen, habe Schulz mit seinem allzu diplomatis­chen Habitus verpasst.

Selbst wenn Schulz mal grimmig geschaut habe, seien seine Signale defensiv geblieben: gerunzelte Stirn, stechender Blick, aber sein Gegenüber aus einem gesenkten Kopf heraus anblickend. Verra: „Optimisten haben den Blick immer über der Horizontli­nie.“Die Gabe des zuversicht­lichen Gesichtsau­sdruckes habe Merkel indes auch nicht zu bieten: „Ihre typische Haltung bei Missfallen ist ebenfalls der Blick aus dem schräg geneigten und eher zum Boden gerichtete­n Kopf.“Das versprühe weder Esprit, noch sei es mit hoffnungsv­ollen Visionen vereinbar. „Vom ehemaligen USPräsiden­ten Barak Obama gibt es so gut wie kein Bild mit einem solchen Gesichtsau­sdruck“, zieht Verra einen Vergleich.

Dennoch habe selbst die körperspra­chlich ungewöhnli­ch zurückhalt­ende Merkel unter dem Strich aufrechter gestanden, häufiger gelächelt, mehr gestikulie­rt und mehr Zuversicht ausgestrah­lt. „Rein körperspra­chlich stand da eine Kanzlerin, die ihrem Herausford­erer die Welt erklärt hat“, meint Verra. Sein Fazit: „Als Herausford­erer war Schulz die falsche Wahl.“

Das ist nur der Eindruck eines Experten nach lediglich einem Fernsehdue­ll. Auch Verra weiß, dass der inhaltlich­e Austausch ebenfalls zählt. Ein Lächeln mag mehr als 1000 Worte sagen. Aber einen Kanzler, der nur ein Lächeln, aber keine Argumente hat, will auch niemand.

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