Rheinische Post Opladen

Die wahren Monster wohnen nebenan

George Clooney zeigt bei den Filmfestsp­ielen von Venedig „Suburbicon“– die rabenschwa­rze Komödie über den amerikanis­chen Traum nach einem Drehbuch der Coen-Brüder. Künstler Ai Weiwei scheitert an einem Projekt über Flüchtling­e

- VON MARION MEYER

VENEDIG Er sieht dunkle Wolken über den USA , sagt George Clooney. Immer noch hätte Amerika einen Teil seiner Geschichte – nämlich den Rassismus – nicht überwunden. „Aber ich bin Optimist und glaube an das Gute.“Als Regisseur präsentier­te er seinen sechsten Film auf dem Filmfestiv­al von Venedig. Auch am Ende seiner äußerst schwarzen Komödie „Suburbicon“gibt es Hoffnung; doch erst nachdem viele Figuren auf teils abenteuerl­iche Weise das Zeitliche gesegnet haben.

„Ich konnte meine Finger nicht von ihm lassen“

Jane Fonda über Robert Redford

Der Film basiert auf einem Drehbuch der Coen-Brüder, was man ihm in jeder Minute anmerkt: skurrile Figuren, irrwitzige Zufälle, dazu Gewalt, die sich immer wieder unvermutet Bahn bricht. Das alles sind Zutaten, die schon Filme wie „Fargo“oder „Burn after reading“unvergessl­ich und zu Ikonen des Genres gemacht haben.

Joel und Ethan Coen wollten den Film wohl selbst in den 90er Jahren verwirklic­hen, was allerdings nie zustande kam. Nun überließen sie das Drehbuch Clooney, der schon in einigen Werken der Oscar-ausgezeich­neten Brüder agierte. Und er beweist sich wie schon in seinen vorherigen Filmen („The Ides of March“) als geschickte­r Erzähler – durchaus mit Stilwillen.

Denn „Suburbicon“spielt 1959 in einer amerikanis­chen Musterstad­t. Am Anfang blättert sich ein Bilderbuch auf, das die Geschichte dieser Stadt erzählt, in der weiße Familien den amerikanis­chen Traum verwirklic­hen. Das Verbrechen zerstört diese pastellfar­bene Idylle, als eines Nachts zwei Killer in das Haus von Gardner Lodge (Matt Damon) einbrechen, die Familie fesseln und sie mit Chloroform betäuben. Die Mutter (Julianne Moore) überlebt den Vorfall nicht. Erzählt wird aus der Perspektiv­e des kleinen Sohnes Nickie, der erstaunt zur Kenntnis nehmen muss, dass nun seine Tante (ebenfalls Julianne Moore) ins Haus einzieht und die Rolle seiner Mutter einnimmt. Erst als der Vater die beiden Einbrecher auf der Polizeiwac­he nicht identifizi­ert, merkt Sohn Nickie, dass etwas nicht stimmt.

Herrlich, wie sich die beiden Durchschni­ttsamerika­ner (Damon und Moore) immer weiter in Lügen verstricke­n, wie sie immer dämonische­r werden und vor nichts zurückschr­ecken. Als ein gerissener Versicheru­ngsvertret­er versucht, sie zu erpressen, geraten die Dinge au- ßer Kontrolle. Wunderbar schmierig spielt Oscar Isaac diese Rolle, die bei einer Coen-Verfilmung eigentlich Clooney hätte übernehmen sollen.

Zum Drehbuch hat Clooney einen Handlungss­trang hinzugefüg­t, der wie ein Kommentar auf das derzeitige Amerika wirkt. Neben den Lodges ist eine schwarze Familie eingezogen, die sich zunehmend rassistisc­hen Anfeindung­en ausgesetzt sieht, bis irgendwann ein weißer Mob vor dem Haus steht und droht, es anzuzünden. Das weiße Suburbicon fürchtet die schwarzen Nachbarn, obwohl die wahren Monster eigentlich nebenan wohnen. Und auch wenn dieser Teil der Geschichte tatsächlic­h etwas angehängt wirkt, verleiht er dem Film gerade in der Zeit unmittelba­r nach den Protesten von Charlottes­ville eine traurige Brisanz.

Diese besitzt auch der Dokumentar­film „Human Flow“von Ai Weiwei. Der bildende Künstler hat Flüchtling­e in 23 Ländern beobachtet. Er selbst tritt immer wieder auf mit seinem iPhone in der Hand. Denn so begann die Idee für diesen Film. Er sei im Urlaub 2015 auf Lesbos gewesen und habe angefangen zu filmen, erzählt er. Dann habe er gemerkt, dass er so ein Projekt nicht allein stemmen kann, und suchte sich Partner. Herausgeko­mmen ist ein mit 140 Minuten etwas langes und unstruktur­iertes Kaleidosko­p verschiede­ner Menschen, die aus unterschie­dlichen Gründen aus ihren Ländern fliehen.

Die Einzelschi­cksale treten allerdings vor dem großen Ganzen zurück. „Diese Probleme betreffen uns alle“, sagt der chinesisch­e, in Berlin lebende Künstler. Ihm gehe es vor allem um die Menschlich­keit. Sicher ein ehrenwerte­s Anliegen, was den Film jedoch nicht unbedingt rettet. Ein Erkenntnis­gewinn bleibt leider aus.

Nicht um Erkenntnis, aber um ganz viel Gefühl geht es in dem neuen Film von Robert Redford (81) und Jane Fonda (79), die erstmals nach „Der elektrisch­e Reiter“von 1979 wieder gemeinsam vor der Kamera standen. „Unsere Seelen bei Nacht“erzählt nach dem Bestseller von Kent Haruf von zwei alternden Nachbarn, die noch einmal die Liebe wagen. Der Film schafft es, herzerwärm­end, romantisch und unsentimen­tal diese vorsichtig­e Annäherung zu schildern, die vom Umfeld der beiden Verwitwete­n skeptisch begleitet wird.

Beide Darsteller erhielten in Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk, und die Pressekonf­erenz dazu gehörte sicher zu den Höhepunkte­n, die dieses Festival je erlebt hat. Jane Fonda habe sich schon bei „Barfuß im Park“(1967) in ihren Kollegen verliebt, erzählt die Schauspiel­erin. „Ich konnte meine Finger nicht von ihm lassen“, sagt Fonda. Er kontert: „Und ich wollte unbedingt noch einen Film mit ihr machen, bevor ich sterbe.“Natürlich bereite das Alter Zipperlein („alles hängt“, sagt eine blendend aussehende Fonda kokettiere­nd). Aber wenn man diese beiden Junggeblie­benen so sieht, dann verliert das Alter doch etwas seinen Schrecken – und die Rente mit 70 auch.

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FOTO: IMAGO Julianne Moore als Margaret und Matt Damon als Gardner im neuen George-Clooney-Film „Suburbicon“.

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