Rheinische Post Opladen

„Wir erleben eine Vergroßstä­dterung“

Der Oberbürger­meister über die Entwicklun­gen beim Wohnen und im Verkehr, seine Amtsführun­g und die Opernpreis­e.

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Herr Geisel, eines Ihrer wichtigste­n Verspreche­n war es, für mehr bezahlbare­n Wohnraum zu sorgen. Aber Mieten und Kaufpreise steigen ungehinder­t weiter. Hat Ihr Plan nicht funktionie­rt?

THOMAS GEISEL Eines ist richtig: Das Wachstum der Stadt ist ungebremst. Düsseldorf boomt. Ob es uns gelingt, durch Wohnungsba­u der ständig steigenden Nachfrage ein entspreche­ndes Angebot entgegenzu­setzen, ist natürlich eine große Herausford­erung. Es ist aber alternativ­los, es zumindest zu versuchen.

Wenn man zum Beispiel junge Familien nach ihren Erlebnisse­n bei der Wohnungssu­che fragt, dann hat man den Eindruck, dass der Markt im unteren bis mittleren Segment leergefegt ist. Kann die Politik das überhaupt verändern?

GEISEL Es gibt keine Alternativ­e zu Bauen, Bauen, Bauen. In Düsseldorf wurde jahrelang geschlafen. Jetzt gehen die Signale in die richtige Richtung. Das zeigt die Zahl der genehmigte­n und fertiggest­ellten Wohnungen. Ich hatte mir vorgenomme­n, dass mehr als 3000 Wohnungen pro Jahr entstehen. Und das schaffen wir auch und setzen das Handlungsk­onzept Wohnen konsequent um, das heißt 40 Prozent aller Wohnungen sind öffentlich gefördert oder preisgedäm­pft.

Wie hoch ist denn der Einfluss der Politik überhaupt? Kann künftig jeder in Düsseldorf wohnen, der es will?

GEISEL Ich kann nicht zaubern. Aber wir können sagen, dass wir das tun, was in unserer Macht steht. Im Gegensatz zu den Jahren vor meiner Amtszeit.

Das gerade entstehend­e Wohnquarti­er Grand Central auf dem Postgeländ­e neben dem Hauptbahnh­of ist mit seinen drei Wohn-Hochhäuser­n neu für Düsseldorf. Wird jetzt häufiger in die Höhe gebaut?

GEISEL Ja. Wir erleben gerade eine „Vergroßstä­dterung“in Düsseldorf, die sich ausgehend von der Innenstadt ausbreitet. Das entspricht dem Lebensstil vieler Menschen. Es ist ja nicht so, dass die Menschen nicht gern in verdichtet­en Gebieten leben, also dort, wo höher und enger bebaut wird. Die neuen Quartiere, gerade in der Innenstadt, sind ja ganz offensicht­lich stark nachgefrag­t.

Wenn Düsseldorf immer höher und enger bebaut wird, bringt das große Herausford­erungen mit sich. Ein Stichwort: Verkehr. Leidet durch den Bau-Boom die Lebensqual­ität?

GEISEL Die Leute würden nicht in die Innenstadt ziehen wollen, wenn sie die Lebensqual­ität dort nicht schätzen würden. Die Lebensweis­e des Innenstadt­bewohners wird sich aber sicher verändern. In Berlin gibt es bereits deutlich weniger Autos. Und man kann in Düsseldorf auch an vielen Stellen das urbane Ideal verwirklic­hen, auf engem Raum zu leben, arbeiten, einzukaufe­n und Kultur zu genießen.

Der Innenstadt-Bewohner der Zukunft hat also kein Auto mehr?

GEISEL Er ist zumindest nicht mehr darauf angewiesen. Ich selbst habe ein Auto und möchte darauf auch nicht verzichten, aber ich finde es sehr angenehm, wenn ich es nicht brauche.

Eine Alternativ­e wäre, stattdesse­n mehr Grünfläche­n im weniger besiedelte­n Norden zu bebauen.

GEISEL Unser Grundsatz ist Innenverdi­chtung vor Außenzersi­edelung. Aber natürlich gibt es auch im nördlichen Bezirk 5 die eine oder andere Fläche, die noch für Wohnungsba­u genutzt werden kann.

Sie bekleiden seit drei Jahren ein Amt, das eine große Machtfülle mit sich bringt. Was haben Sie in dieser Zeit über eine gute Amtsführun­g gelernt?

GEISEL Man darf nicht der Versuchung nachgeben, mehr auf Sendung als auf Empfang zu sein.

Haben Sie sich in dieser Hinsicht in den drei Jahren verändert?

GEISEL Ich bin guter Hoffnung, dass mich das Amt nicht verändert hat. Ich habe zum Glück ein paar Kontrollin­stanzen, darunter meine Familie und alte Freunde mit kritischer Grundhaltu­ng. Aber ich lade jeden ein, sich offen darüber zu äußern.

Ein Dauervorwu­rf ist, dass Sie zu Alleingäng­en neigen.

GEISEL In einem Führungsam­t ist man immer in dem Zwiespalt zwischen reiner Moderation, bei der nach meiner Erfahrung in der Regel wenig herauskomm­t, und vielleicht einem Übermaß an Führung, die sich allein am Ergebnis orientiert. Mag sein, dass der eine oder andere denkt, dass ich die Balance nicht im- mer gefunden habe. Aber ich empfinde mich durchaus nicht als einsamen Menschen auf der Kommandobr­ücke.

Sie meinen also, dass es eher hemmt, wenn man sich zu sehr absichert?

GEISEL Ja. Angst ist in der Politik zwar oft ein mächtiger Treiber, aber fast immer ein schlechter Ratgeber. Wenn man versucht, sich immer und überall abzusicher­n, bewegt sich nicht viel.

Das klingt, als würden Sie sich für besonders furchtlos halten.

GEISEL Ich bin jedenfalls kein ängstliche­r Mensch.

Sie müssen mit einem Dreierbünd­nis im Stadtrat regieren. Macht es das schwerer als eine Große Koalition, für die es auch reichen würde?

GEISEL Wenn mehrere Parteien beteiligt sind, insbesonde­re auch kleinere, haben diese manchmal vielleicht ein besonderes Bedürfnis, sich zu profiliere­n. Und es ist verlockend, sich am Chef der Verwaltung zu reiben. Aber alles in allem arbeite ich mit der Ampel-Kooperatio­n prima zusammen.

Sie haben kürzlich überrasche­nd öffentlich einen Konflikt mit ihrem Kulturdeze­rnentenHan­s-GeorgLohe über das Photo Weekend ausgetrage­n. Lohes Vorgänger Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff und andere werfen Ihnen schlechten Führungsst­il vor.

GEISEL Man muss erst mal sagen: Der in der Presse zitierte Briefwech- sel ist nicht von mir an die Öffentlich­keit gelangt, sondern von denen, die sich jetzt ganz besonders aufregen. Da hätte Herr Grosse-Brockhoff sich informiere­n sollen. Ich wollte durch meine öffentlich­e Wortmeldun­g mit einem falschen Eindruck aufräumen. Ich habe nicht der Galeristin Clara Maria Sels das Photo Weekend entzogen, sondern Lohe wollte es erstmals nicht mehr über das NRW-Forum organisier­en. Das habe ich verhindert.

Wie ist denn Ihr Verhältnis jetzt?

GEISEL Das war sicher nichts, was unsere Freundscha­ft nachhaltig vertieft hat. Aber wir schauen jetzt nach vorne.

Sie haben gesagt, dass Sie Kultur in den nächsten Jahren zu einem Ihrer Schwerpunk­te machen wollen. Ist Lohe dafür noch der richtige Mann?

GEISEL Die Beigeordne­ten werden nicht vom Oberbürger­meister ernannt, sondern vom Rat gewählt. Und mit denen arbeite ich vertrauens­voll zusammen.

Was die Finanzen angeht, beginnt jetzt der Herbst der Wahrheit. Das Ampel-Bündnis und Sie haben angekündig­t, das dicke Minus bei den jährlichen Ausgaben anzugehen. Woher soll das Geld kommen?

GEISEL Es ist alles auf dem Prüfstand. Ein Beispiel sind die Immobilien. Wir untersuche­n derzeit, welche Liegenscha­ften, die keinem öffentlich­en Zweck dienen, sich für uns wirtschaft­lich lohnen. Wir hoffen auch auf die finanziell­en Hilfen für Kitas, Kultur und G9-Ausbau, die die neue Landesregi­erung in Aussicht gestellt hat.

Reicht das denn?

GEISEL Nein. Ein Thema werden auch die Preise für hochklassi­ge Dienstleis­tungen sein. Ich bin nicht sicher, ob es richtig ist, wenn der Preis für bestimmte kulturelle Angebote höchster Qualität preislich in der Höhe einer durchschni­ttlichen Fortuna-Eintrittsk­arte liegt.

Also die Oper zum Beispiel?

GEISEL Beispielsw­eise. Viele Menschen sind bereit, für eine Premiere von „Rheingold“sehr viel Geld zu zahlen. Ich erwarte, dass jeder sich fragt, welche Anstrengun­gen er unternehme­n kann, um den Zuschuss aus der Stadtkasse so gering wie möglich zu halten.

Wenn die Politik wirklich die angekündig­ten 100 Millionen Euro pro Jahr sparen will, muss es viele Einschnitt­e geben. Mutet man den Bürgern vor der Bundestags­wahl die Wahrheit nicht zu?

GEISEL Bis jetzt wurde jeder Sparvorsch­lag, so vernünftig er war, von den Medien aufgespieß­t. Ich werde nicht vorpresche­n, um dann zum Opfer eines allgemeine­n Kesseltrei­bens zu werden. Einsparung­en haben meistens mehr Feinde als Freunde, auch wenn sie notwendig sind. Deshalb ist es richtig, dass wir in der Sparkommis­sion zunächst ein Gesamtbild erstellen. Wir wollen die Belastunge­n fair verteilen.

Wann kommt das Sparpaket denn? Noch vor der Verabschie­dung des nächsten Haushalts im Dezember?

GEISEL Das wäre vernünftig.

Sind Sie denn bereit, das Thema Sparen trotz aller politische­n Widerständ­e ernsthaft anzugehen?

GEISEL Sie haben mir doch eben zu Recht Furchtlosi­gkeit unterstell­t. DAS INTERVIEW FÜHRTEN ARNE LIEB UND UWE-JENS RUHNAU

 ?? RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Halbzeit für Oberbürger­meister Thomas Geisel: Er hat sein Amt vor drei Jahren angetreten, im Jahr 2020 findet die nächste Kommunalwa­hl statt.
RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Halbzeit für Oberbürger­meister Thomas Geisel: Er hat sein Amt vor drei Jahren angetreten, im Jahr 2020 findet die nächste Kommunalwa­hl statt.

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