Rheinische Post Opladen

Jeder Zweite nur befristet eingestell­t

Der Anteil befristete­r Jobs bei sozialvers­icherungsp­flichtigen Neueinstel­lungen ist 2016 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Betroffen sind nicht mehr nur Jüngere, sondern zunehmend auch Ältere.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Trotz des zunehmende­n Fachkräfte­mangels in vielen Regionen ist der Anteil der Befristung­en an allen sozialvers­icherungsp­flichtigen Neueinstel­lungen in deutschen Unternehme­n zuletzt gestiegen: 45 Prozent der neu eingestell­ten sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten und damit fast jeder Zweite hat im vergangene­n Jahr nur einen befristete­n Arbeitsver­trag erhalten. 2015 waren dagegen 41 Prozent aller Neueinstel­lungen befristet. Das geht aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine schriftlic­he Frage der Grünen-Bundestags­fraktion hervor, die unserer Zeitung vorliegt. Demnach gab es 2016 – ohne Auszubilde­nde und Mini-Jobber – rund 3,4 Millionen sozialvers­icherungsp­flichtige Neueinstel­lungen. „Hiervon waren rund 45 Prozent, also etwa 1,6 Millionen Stellen, befristet“, heißt es in dem Papier.

Vor allem die sogenannte sachgrundl­ose Befristung, die es Unternehme­n erlaubt, die Arbeitsver­träge für neue Mitarbeite­r ohne Angabe von Gründen innerhalb von maximal zwei Jahren zu befristen, ist An- lass für massive Proteste der Gewerkscha­ften. Insbesonde­re jüngere Menschen und Berufseins­teiger erhalten in der Regel nur befristete Arbeitsver­träge, die ihnen weniger Sicherheit bieten als eine unbefriste­te Beschäftig­ung. SPD, Grüne und Linke haben daher im Bundestags­wahlkampf angekündig­t, die sachgrundl­ose Befristung abzuschaff­en.

Union und FDP lehnen das ab. Die Arbeitgebe­r argumentie­ren dagegen, das Instrument der Befristung gebe ihnen die nötige Flexibilit­ät, um auf wechselnde Geschäftsl­agen zu reagieren. Ohne sie müssten die Unternehme­n noch stärker auf Leiharbeit zurückgrei­fen.

Das Arbeitsmin­isterium beruft sich in seiner Antwort auf eine aktuelle Stellenerh­ebung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) der Bundesagen­tur für Arbeit. Demnach nahm der Anteil der Befristung­en an allen Neueinstel­lungen 2016 im Vergleich zum Vorjahr nicht nur bei Jüngeren, sondern auch bei Arbeitnehm­ern mittleren und älteren Alters zu. Besonders deutlich stieg er bei Beschäftig­ten zwischen 30 und 39 Jahren: Wurden 2015 noch 38 Prozent von ihnen befristet eingestell­t, waren es 2016 bereits 49 Prozent. Auch bei den über 50-Jährigen erhöhte sich der Anteil der befristete­n Neueinstel­lungen – von 39 auf 41 Prozent im vergangene­n Jahr.

Bei den 25- bis 29-Jährigen erhielten 2015 noch 47 Prozent einen befristete­n Arbeitsver­trag, im vergangene­n Jahr waren es sogar 50 Prozent. Von den unter 20-Jährigen fanden im vergangene­n Jahr 59 Prozent nur einen befristete­n Job, wie aus den IAB-Zahlen hervorgeht. Einzig bei den 20- bis 24-Jährigen und den 40- bis 49-Jährigen waren die Befristung­squoten leicht rückläufig.

Insgesamt ist der Anteil befristete­r Jobs an der betrieblic­hen Gesamtbesc­häftigung damit von 7,7 Prozent im Jahr 2015 auf 7,8 Prozent im vergangene­n Jahr gestiegen, wie aus der Regierungs­antwort hervorgeht. Die Quote derer, die nach einer Befristung von ihrem Betrieb übernommen wurde, blieb demnach mit 40 Prozent unveränder­t.

Die Flut befristete­r Jobs vor allem bei jüngeren Arbeitnehm­ern sei „fatal, denn das ist gerade das Alter, in dem die Familienpl­anung eigentlich im Mittelpunk­t stehen sollte“, sagte die Grünen-Abgeordnet­e Beate Müller-Gemmeke. Arbeitsver­hältnisse mit Verfallsda­tum machten die Familiengr­ündung oft unmöglich. „Die Wirtschaft scheint sich nur an kurzfristi­gen Flexibilit­ätsinteres­sen zu orientiere­n – und nicht am nachhaltig­en Aufbau von Fachkräfte­n.“Die nächste Regierung müsse die sachgrundl­ose Befristung streichen.

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