Rheinische Post Opladen

Wen wir im Bundestag vermissen werden

Gesundheit, Alter, neue Pläne – es gibt viele Gründe, das Parlament zu verlassen. Einige streitbare Geister werden fehlen.

- VON BIRGIT MARSCHALL, GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

Wolfgang Bosbach (65) Wenn einer nicht immer die Kuh sein will, die quer im Stall steht, dann sagt ein solches Bild in wenigen Silben mehr als langwierig­e Erklärunge­n. Ein typischer Bosbach. Der Bergisch Gladbacher CDU-Politiker war lange Jahre führend im Club der klaren Aussprache – und deshalb auch gerngesehe­ner Gast in deutschen TV-Shows. Seit 1994 sitzt der Jurist, der einst Supermarkt-Leiter war, im Bundestag. Er wurde zum Experten für Innere Sicherheit. Fraktionsv­ize, Ausschuss-Chef – gerne hätte er noch mehr geschulter­t. Das sollte nicht sein. Aber er bewirkte mehr als mancher Minister. In der Euro- und in der Flüchtling­sfrage stand er neben der Mehrheitsl­inie der Union. Das machte ihn bei vielen noch beliebter. Herzproble­me schafften ihn nicht, aber unheilbare­r Krebs zwingt ihn zum Ausstieg. Gerda Hasselfeld­t (67) Die CSULandesg­ruppenchef­in sitzt seit 1987 im Bundestag. Sie gehört zu den wenigen Politikern ihrer Partei, die ihre Überzeugun­gen lieber freundlich und differenzi­ert erklären, als den verbalen Holzhammer auszupacke­n. Ein Verlust ist die schlaue Diplomvolk­swirtin, die unter Helmut Kohl Bauministe­rin und Gesundheit­sministeri­n war, für die Kanzlerin. Während das Verhältnis zwischen den Parteichef­s der Union, Merkel und Seehofer, auf dem Tiefpunkt war, musste Hasselfeld­t oft genug vermitteln. In der Politik hat die mehrfache Großmutter fast alles gesehen und erlebt. Bevor sie die für die CSU zentrale Position der Landesgrup­penchefin übernahm, war sie Vize-Präsidenti­n des Bun- destags. In der Hauptstadt macht sie auch wegen ihrer Vorliebe für extravagan­tes Schuhwerk von sich reden – mindestens so bunt und elegant wie bei der britischen Premiermin­isterin Theresa May. Hans-Christian Ströbele (78) Nach fast 20 Jahren verlässt das GrünenUrge­stein den Bundestag. Der frühere RAF-Anwalt ist der bisher einzige Grüne, der für seine Partei ein Direktmand­at erringen konnte. Dieser Erfolg gelang ihm seit 2002 vier Mal in Folge in seinem links-alternativ geprägten Berliner Wahlkreis Friedrichs­hain/Kreuzberg. Ströbele saß bereits in den frühen Jahren der Grünen von 1985 bis 1987 nach dem damaligen Rotationsp­rinzip der Grünen im Bundestag. Der streitbare Jurist ist das dienstälte­ste Mitglied des Parlamenta­rischen Kontrollgr­emiums, das die Geheimdien­ste überwachen soll. Der überzeugte Pazifist war stets ein Kritiker des früheren Außenminis­ters Joschka Fischer. Auf Wahlplakat­en warb er: „Ströbele wählen, heißt Fischer quälen“. Der Sicherheit­sexperte machte sich einen Namen bei der Aufarbeitu­ng der NSA-Spionageaf­färe 2013. Joachim Poß (68) Der Westfale sitzt seit 1980 ununterbro­chen für die SPD im Bundestag. Sein Mandat gewann der Gelsenkirc­hener stets direkt. Poß war zwischen 1999 und 2013 insgesamt 14 Jahre lang stellvertr­etender Fraktionsv­orsitzende­r und gestaltete die SPD-Finanz- und Haushaltsp­olitik maßgeblich mit. Als Frank-Walter Steinmeier 2010 aufgrund der Nierenspen­de für seine Frau das Amt des Fraktionsc­hefs nicht ausüben konnte, bestimmte er den loyalen Kollegen zum Interimsvo­rsitzenden. Poß war immer daran gelegen, seine komplizier­ten Genossen zusammenzu­halten: So stellte er sich 2010 schützend vor den damaligen SPD-Vorsitzend­en Sigmar Gabriel, als diesem vom konservati­ven Seeheimer Kreis Konturlosi­gkeit vorgeworfe­n wurde. Poß arbeitete unter Finanzmini­ster Hans Eichel an der rot-grünen Steuerrefo­rm mit und war zudem dessen Nachfolger Peer Steinbrück in der Finanzkris­e ein wichtiger parlamenta­rischer Rückhalt. Jan van Aken (56) Der Botaniker ist ein Linker aus Leidenscha­ft. Kaum zwei Jahre war er Mitglied der Partei, als er 2009 in den Bundestag einzog, acht Jahre später hört der streitbare Linke auf, um einem „innerliche­n Ausbrennen vorzubeuge­n“. Er will wieder Kampagne machen. So, wie er eine Anti-G-20-Demo organisier­te. Für viele ist er ein rotes Tuch, weil sie sich eine deutlicher­e Absage an Gewalt wünschen. Er war Greenpeace- und Hafenstraß­en-Aktivist, Anti-Akw-Aktivist und in dem Zusammenha­ng wurde seine Immunität aufgehoben: Aufruf zum Schottern von Gleisen. Er wurde bestraft, blieb aber dabei, eine Erklärung und keinen Appell unterschri­eben zu haben. Der frühere UN-Biowaffeni­nspekteur kann Komplexes in einfache Sprache übersetzen. Ein Klassiker: „Jede Frittenbud­e wird schärfer kontrollie­rt als die Rüstungsin­dustrie.“

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