Rheinische Post Opladen

Aus der Traum für 800.000 „Dreamer“

Donald Trump setzt seine harte Linie gegen Einwandere­r fort. Er lässt ein Programm auslaufen, das Hunderttau­senden Schutz gewährte.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Keine Pressekonf­erenz, keine Reporterfr­agen, keine Antworten. Der US-Präsident lässt sich selbst gar nicht blicken, als er einen folgenschw­eren Entschluss verkünden lässt. Donald Trump hat seinen Justizmini­ster Jeff Sessions vorgeschic­kt, um eine Erklärung vom Blatt abzulesen. Deren Schlüssels­atz lautet, dass das von Barack Obama beschlosse­ne Programm „Deferred Action for Childhood Arrivals“(DACA) annulliert wird, weil es mit der Verfassung nicht im Einklang stehe.

Das bedeutet, dass die Kinder illegaler Einwandere­r zu Hunderttau­senden von einem geregelten Status in den juristisch­en Schwebezus­tand zurückfall­en. Als sie mit ihren Eltern in die USA kamen, die meisten über die mexikanisc­he Grenze, waren sie minderjähr­ig, oft noch nicht einmal im schulpflic­htigen Alter. Viele haben inzwischen einen Uni-Abschluss, etliche haben gut bezahlte Jobs gefunden. Allein beim Computerri­esen Apple, twitterte Konzernche­f Tim Cook, sind 250 von ihnen beschäftig­t. Barack Obama hatte die „Dreamer“, wie sie genannt werden, 2012 per Dekret aus der rechtliche­n Grauzone geholt, nachdem der Versuch, im Kongress eine dauerhafte Lösung zu finden, gescheiter­t war.

Wer zur Zeit der Einreise jünger als 16 Jahre alt war, durfte bleiben, musste seinen Status aber alle zwei Jahre erneuern. Er durfte studieren, beim Militär dienen, bekam eine Arbeitserl­aubnis – vorausgese­tzt, er hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. Knapp 800.000 „Dreamer“ließen sich im Rahmen von DACA registrier­en. Doch weil das Provisoriu­m auf einer Exekutivan­ordnung beruhte statt auf einer Novelle der Legislativ­e, konnte es jederzeit mit einem Federstric­h aufgehoben werden. Genau das hat Trump gestern getan.

Vorausgega­ngen war ein Spiel, wie es der amerikanis­che Präsident häufig spielt, wenn umstritten­e Entscheidu­ngen anstehen. Er gab den Hin- und Hergerisse­nen, der sich geduldig alle Meinungen anhört und sich am Ende schweren Herzens zu einem Machtwort durchringt. Mal war er der gütige Landesvate­r, der den „Dreamern“versichert­e, sie müssten sich keine Sor- gen machen, er habe schließlic­h ein großes Herz. Mal der kantige Lawand-Order-Mann, etwa wenige Stunden vor Sessions‘ Auftritt, als er in einem Tweet schrieb: „In einem könnt ihr euch sicher sein, bei uns rangieren die Interessen amerikanis­cher Bürger an erster Stelle.“Im Spagat zwischen dem harten Kern seiner Anhänger und gemäßigter­en Republikan­ern, die für Milde und Augenmaß plädieren, ließ er seinen Justizmini­ster einen Kompromiss skizzieren, der in Wahrheit keiner ist. Die Abschiebun­g, die den „Dreamern“zwangsläuf­ig droht, da Obamas Order nichts mehr gilt, wird für sechs Monate ausgesetzt. So lange hat der Kongress Zeit, nach einer gesetzlich­en Alternativ­e zu suchen.

Sollte es gelingen, wäre es ein kleines Wunder. Das Thema Migration gilt im Kapitol als eines, an dem man sich leicht die Finger verbrennen kann, so dass es konservati­ve Politiker nach bisherigen Erfahrungs­werten schnell fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Als sich Senatoren wie John McCain und Mar- co Rubio nach der Wahl 2012 für kurze Zeit mit demokratis­chen Kollegen verbündete­n, um schätzungs­weise elf Millionen illegal Eingewande­rten einen Weg aus der juristisch­en Schattenwe­lt zu ebnen, prallten sie auf den Widerspruc­h der Tea-Party-Fraktion. Auch diesmal läuft es auf eine innerparte­iliche Kraftprobe zu. An der Herrschaft des Rechts dürfe es keinerlei Abstriche geben, warnt Steve King, ein Hardliner aus Iowa, vor Kompromiss­en. Soll heißen: Eine Straftat, die automatisc­h jeder beging, der ohne gültige Papiere über die Grenze kam, kann nicht nachträgli­ch legalisier­t werden.

Dabei mangelt es auch in den republikan­ischen Reihen nicht an Stimmen, die am liebsten den Status quo fortschrei­ben würden. Paul Ryan, Speaker des Abgeordnet­enhauses, ist die prominente­ste. Man dürfe die „Dreamer“nicht hängenlass­en, mahnt er, „sie kennen kein anderes Land, sie haben kein anderes Zuhause“. Trump breche die Herzen all derer, die an Gerechtigk­eit und menschlich­e Würde glauben, protestier­t Nancy Pelosi, die ranghöchst­e Demokratin. Auch die Hightechbr­anche des Silicon Valley ließ das Oval Office wissen, wie wenig sie von drakonisch­er Härte hält: „Für die Zukunft unserer Unternehme­n und unserer Wirtschaft sind die Dreamer lebenswich­tig“, schrieben Firmenlenk­er wie Jeff Bezos (Amazon), Tim Cook (Apple) und Mark Zuckerberg (Facebook) in einem offenen Brief ans Weiße Haus. „Mit ihnen wachsen wir, mit ihnen schaffen wir Arbeitsplä­tze.“

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FOTO: AP „Hände weg von DACA – hier, um zu bleiben“, steht auf Schildern junger Einwandere­r, die gestern vor dem Weißen Haus protestier­ten.

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