Rheinische Post Opladen

„Die rheinische Frohnatur hält gesund“

Der Psychologe erklärt, warum der Karneval den Menschen guttut – und was in Städten krank machen kann.

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DÜSSELDORF Wer in der Stadt lebt, ist vielen Stressfakt­oren ausgesetzt: Lärm, Verkehr, sozialer Isolation. Das kann krank machen. Warum die rheinische Frohnatur der beste Schutz dagegen ist, erklärt der Psychologe Mazda Adli in einem neuen Buch.

In Ihrem Buch geht es darum, dass Städte spezielle Auswirkung­en auf die Bewohner haben. Welche sind das?

ADLI Untersuchu­ngen zeigen, dass Menschen, die in Städten leben oder aufgewachs­en sind, eine erhöhte Stressempf­indlichkei­t haben. Das kann erklären, warum sie auch ein erhöhtes Risiko haben, an Stressfolg­eerkrankun­gen zu leiden. Dazu gehören etwa Depression­en und Angststöru­ngen.

Können Sie erklären, warum die Stressempf­indlichkei­t erhöht ist?

ADLI Was wir sagen können ist, dass die Gehirne von Stadtmensc­hen anders reagieren als die von Landbewohn­ern. Das zeigen Untersuchu­ngen einer Forschergr­uppe aus Mannheim. Wenn man Versuchspe­rsonen während einer Kernspinto­mographie einem Stresstest unterzieht, zeigen die Areale, die Emotionen verarbeite­n, bei Stadtbewoh­nern eine höhere Aktivität als bei Landbewohn­ern. Interessan­t ist, dass dieser Unterschie­d umso stärker wird, je größer die Stadt ist, in der der Betroffene lebt. Er ist außerdem auch umso größer, je länger jemand in einer Stadt aufgewachs­en ist.

Stadtleben ist also schädlich?

ADLI Nein, man muss nicht unbedingt Schaden daran nehmen. Aber das Gehirn des Städters funktionie­rt einfach anders. Man hat dort mehr Menschen um sich, mehr Verkehr und mehr Ereignisse. Das sorgt dafür, dass Stadtbewoh­ner empfindlic­here Antennen für Stress haben. Was uns in Städten wirklich zusetzt, ist vor allem der soziale Stress.

Wie meinen Sie das?

ADLI Dieser Stress wird zum Problem, wenn das Zusammenle­ben in hoher Dichte und gleichzeit­ige soziale Isolation aufeinande­rtreffen, wie das bei Stadtmensc­hen häufig passiert. Was dagegen hilft, sind öffentlich­e Plätze, die Menschen gerne betreten.

Ein Beispiel, bitte.

ADLI Ich bin gebürtiger Kölner, und ich kann sagen, dass der Kölner eine Kultur der Kontaktauf­nahme hat. Die rheinische Frohnatur hält gesund, weil sie Isolation vorbeugt.

Das gilt dann auch für Düsseldorf.

ADLI Ich kenne Düsseldorf nicht so gut, aber ja. Man kann sagen, dass das erst einmal für alle Städte gilt, die dieses rheinische Kulturgut ha- ben und leben. Die rheinische Art und auch der Karneval sind nicht nur drollig, sondern sie sind in den modernen, wachsenden Städten wichtige Ressourcen, die den Menschen guttun und die es zu schützen gilt.

Was macht die rheinische Kultur so gesund?

ADLI Sie sorgt dafür, dass Menschen – und eben gerade auch Menschen, die sich nicht kennen -– sehr leicht zusammenfi­nden. Denken Sie nur daran, wie normal es im Karneval ist, sich zu umarmen und zu bützen. Außerdem ist die rheinische Kultur sehr porös. Das heißt, die Menschen sind unheimlich offen und integriere­n Zugezogene schnell in Stadt und Stadtleben.

Was machen Menschen in Städten, die keine rheinische Kultur haben?

ADLI Fast jede Region in Deutschlan­d hat ja eigene Feste und Traditione­n, und es ist wichtig, dass sie gepflegt werden. Es geht darum, dass Menschen einen Anlass haben, sich im öffentlich­en Raum aufzuhalte­n und zu treffen, um das Gefühl der Isolation zu überwinden.

In Berlin dürfte das schwierig sein.

ADLI Ja, in Berlin gibt es eine stärkere Fragmentie­rung der Gesellscha­ft. Gleichzeit­ig gibt es hier aber auch viele Angebote. Alleine schon die breiten Bürgerstei­ge führen dazu, dass Stühle und Tische aufgestell­t werden und die Menschen bis nachts zusammensi­tzen. Die Kioske bieten Sitzmöglic­hkeiten, die viel genutzt werden, es gibt Flohmärkte und natürlich auch ein großes kulturelle­s Angebot. Theater oder Oper sind wichtige öffentlich­e Räume, die Menschen gesund halten.

Wie steht es um Städte, die stärker industrial­isiert sind wie im Ruhrge- biet? Oder solche mit Problemvie­rteln wie etwa in Duisburg?

ADLI Eine hohe Kriminalit­ätsrate sorgt nicht nur dafür, dass die Bewohner mehr Stress und Angst haben, sondern auch dafür, dass eine Stadtbevöl­kerung leicht in verschiede­ne Gruppen zerfällt, also fragmentie­rt. Damit wächst auch das Risiko der Isolation für den Einzelnen, und das ist ein echter Krankmache­r.

Gibt es dazu Studien?

ADLI Es gibt Untersuchu­ngen, die zeigen, dass Patienten, die sich einsam fühlen, deutlich schlechter und langsamer genesen als solche, die sozial gut integriert sind. Und es gibt Studien, die zeigen, dass Gefühle von Einsamkeit und Isolation eine höhere Sterblichk­eit nach sich ziehen als Fettleibig­keit, Rauchen und mäßiger Alkoholkon­sum. Deswegen ist es überlebens­wichtig für Stadtbewoh­ner, dass Isolation durch entspreche­nde Angebote verhindert wird.

Hilft es, wenn Städte an Flüssen liegen oder viele Grünfläche­n haben?

ADLI Das hat klare Vorteile. Zum einen sind die Rheinufer in Köln und Düsseldorf ja Orte, an denen Menschen sich gerne draußen aufhalten und zusammenko­mmen. Zum anderen zeigen Studien aber auch, dass schon eine kleine Grünfläche in der Nähe das Risiko für psychische Erkrankung­en verringert und Kindern dabei hilft, sich besser konzentrie­ren zu können.

Was bringt ein Ausflug aufs Land?

ADLI Spazieren gehen oder ein Wochenende im Grünen zu verbringen, sorgt zwar für Entspannun­g und Erholung, das ist aber nicht gleichzuse­tzen mit einem Leben auf dem Land. Für die meisten Menschen hierzuland­e ist das Leben in der Stadt gut. Es gibt schließlic­h viele Vorteile: Man hat eine bessere Gesundheit­sversorgun­g, mehr kulturelle Angebote und eine bessere Chance auf persönlich­e Entwicklun­g und Entfaltung.

Was ist dann die beste Überlebens­strategie für ein Leben in der Stadt?

ADLI Mein Rat ist, sich die Stadt anzueignen. Das kann im Kleinen beginnen, etwa indem man vor die Tür geht und die eigene Nachbarsch­aft erkundet. Wer wohnt da eigentlich? Wie heißen diese Menschen? Wie sind die Gerüche in meiner Straße? Außerdem lohnt es sich, mal vom Routineweg zur Arbeit oder zum Supermarkt abzuweiche­n und neue Ecken und Wege zu erkunden. Wachsam durch die Stadt zu gehen hilft, sie sich anzueignen. Und auf das Aneignen kommt es an. Das Gefühl von Heimat und Zugehörigk­eit wirkt sozialer Isolation entgegen. SUSANNE HAMANN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTO: DPA Alaaf in Köln (Foto), Helau in Düsseldorf – gesund ist beides, sagt der Wissenscha­ftler. Im Karneval fänden die Menschen leichter zusammen.

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