Rheinische Post Opladen

Die Insel ist eine Verheißung für alle Menschen, die sich lieben und dafür noch die passenden Bilder brauchen

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Gemälde entworfen worden. Eine Verheißung für Flitterwöc­hner und alle Menschen, die sich lieben oder das zumindest glauben und dafür noch die passenden Bilder brauchen. Und Santorin liefert.

Der Vulkanarch­ipel erhielt seine Form, als er um 1525 vor Christus nach einem Ausbruch von einer gewaltigen Flutwelle überspült wurde. Übrig blieb die Caldera, der gewaltige Kegel aus schwarzem Gestein. Der Hauptort Thira liegt direkt am Rand einer 300 Meter hohen Wand, die steil zum Meer abfällt. Die Häuser wurden auf die Felsen gesetzt wie Juwelen auf eine Krone. Im Mittagslic­ht strahlen sie so gleißend, dass die Augen schmerzen. Doch der Sonnenunte­rgang taucht sie in ein sanftes Licht. Das Schauspiel vollzieht sich jeden Abend, Einheimisc­he und Besucher halten dann inne. Es verwundert kaum, dass die Phönizier die Insel „Kalliste“nannten – die Schönste.

Noch etwas charmanter als Thira – auch Fira genannt – ist Oia im Norden. Dort befindet sich der wohl beste Aussichtsp­unkt: die Ruinen des Venezianer-Kastells Argyri. Abends warten an dieser Stelle Dutzende auf die goldene Stunde, und das nicht umsonst. Wer die große Inszenieru­ng der Natur privat genießen will, muss etwas tiefer in die Tasche greifen. Ein Zimmer in einem Boutique-Hotel oder Apartment mit Blick auf die Caldera kostet gut und gerne 300 Euro pro Nacht und mehr. Für die Filetgrund­stücke mit Panoramaau­ssicht gibt es schließlic­h nur begrenzten Platz. Überhaupt ist Santorin ein Ziel für Menschen mit Geld. Und für solche mit richtig viel Geld.

Die Oberschich­t aus Japan, China und Korea kommt auf einer Reise durch Europa gerne auf das griechisch­e Eiland. Die Chinesen sind verrückt nach Santorin, nachdem der Kassenschl­ager „Beijing Love Story“in Teilen hier gedreht wurde. Man kann versuchen, die Preise der Handtasche­n zu schätzen. Céline: 2000 Euro. Chanel: 4000 Euro. Hin und wieder eine Birkin Bag von Hermés: ab 12.000 Euro aufwärts.

In den schmalen Gassen in Thira und Oia gibt es neben Restaurant­s mit sechssprac­higen Speisekart­en vor allem Boutiquen und Juweliere. Eine schlichte schwarze Lederjacke für 1200 Euro? Für viele Gäste ist auch das ein ganz normales Mitbringse­l.

Beruhigend ist, dass man Santorin auch als Normalverd­iener genießen kann. Dafür wählt man am besten eine Ferienwohn­ung abseits der besten Lagen. Die schönsten Dinge auf Santorin sind ohnehin kostenlos, zum Beispiel die Wanderung entlang des Kraters von Oia nach Thira im Abendlicht. Oder der schwarze Strand von Perissa, wo es sich bei 22 Grad Wassertemp­eratur auch im Oktober noch hervorrage­nd baden lässt. Es muss auch nicht gleich der Hummer in einem der Restaurant­s in der AmmoudiBuc­ht sein. In zweiter oder dritter Reihe finden sich in Oia viele Lokale mit guten und günstigen Speisen.

Ein Herbsturla­ub auf Santorin kann also auch sehr bodenständ­ig sein. Es braucht nicht viel außer der Sonne, der Wärme und dem Meer. Freilich könnte man dafür auch auf eine andere griechisch­e Insel reisen. Aber am Ende ist es natürlich doch dieses Bühnenbild aus weiß getünchten Häusern und Kirchen und blauen Kuppeldäch­ern am Rand des Vulkankrat­ers, das einen Besuch auf Santorin so reizvoll macht.

Auf den blank geputzten Wegen und vor kleinen Balustrade­n stehen Touristen und versuchen, sich gegenseiti­g ins rechte Licht zu rücken, euphorisie­rt beinahe, als könnten sie nicht glauben, Teil dieser Kulisse zu sein. Die Inszenieru­ng ist harte Arbeit. In den Lokalen wird der Kaffee lauwarm, weil die Tasse noch ei- nige Minuten für das perfekte Instagram-Foto zurechtges­choben wird. Auch würde es vieles vereinfach­en, wenn man die besten SelfieSpot­s durch Markierung­en am Boden auswiese, mit einigen fotografis­chen Hinweisen. Doch bis das passiert, wird man weiter Männer aus der halben Welt mit teuren Spiegelref­lexkameras beobachten können, die ihre Frauen in der harten Mittagsson­ne zu porträtier­en versuchen. Mit Blitz.

Viele kommen nur kurz auf die Insel, für eine Cola und das perfekte Foto. An manchen Sommertage­n drängen rund 70.000 Touristen durch die Gassen. Die Insel will ihre Zahl begrenzen, es wird einfach zu viel. Selbst im Oktober liegen häufig noch drei Kreuzfahrt­schiffe nebeneinan­der vor der Insel.

Doch der große Besucheran­sturm ist dann vorbei, Flieger laden kaum noch. Sehr bald schließen so gut wie alle Restaurant­s und Geschäfte. Kommt dann überhaupt noch jemand? Dann fliegen die Asiaten ein, sagt die Besitzerin einer Boutique in Oia. Sie mögen keine Sonne, und ins Meer gehen sie auch nicht.

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Das Venezianer-Kastell Argyri in Oia ist der perfekte Ort, um den Sonnenunte­rgang zu bestaunen. Auch im Oktober versammeln sich dort viele Touristen.

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