Rheinische Post Opladen

Ungarn ignoriert Flüchtling­surteil

Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat die Entscheidu­ng der EU von 2015 bestätigt, dass alle EU-Staaten Flüchtling­e aufnehmen müssen. Mit der Regierung in Budapest droht jetzt ein schwerer Konflikt.

- VON MATTHIAS BEERMANN, BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

BERLIN/LUXEMBURG Ungarn will ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) zur Umverteilu­ng von Flüchtling­en innerhalb Europas nicht beachten. Das kündigte die Regierung in Budapest an. Ungarn war gemeinsam mit der Slowakei gegen den Beschluss der EU-Kommission vom September 2015 vorgegange­n, wonach alle Mitgliedsl­änder unter anderem nach ihrer Bevölkerun­gsstärke und ihrer Wirtschaft­sleistung eine bestimmte Zahl von Flüchtling­en aus Griechenla­nd und Italien aufnehmen müssen. Der EuGH lehnte die Klagen gestern ab.

Ungarn und die Slowakei hatten argumentie­rt, die Umverteilu­ng der bis zu 120.000 Flüchtling­e sei weder geeignet noch nötig, um auf die Flüchtling­skrise zu reagieren. Zudem machten sie Formfehler geltend. Die Richter folgten dem nicht. Die geplante Umsiedlung sei nicht „offensicht­lich ungeeignet“gewesen, um Griechenla­nd und Italien zu helfen, die als Erstankunf­tsländer von der Flüchtling­skrise am stärksten betroffen sind. Und die vorläufige und auf zwei Jahre befristet Umverteilu­ng von Flüchtling­en habe weder einstimmig noch unter Einbeziehu­ng der nationalen Parlamente beschlosse­n werden müssen.

Während die Slowakei gestern andeutete, man werde das Urteil akzeptiere­n, reagierte die ungarische Regierung empört. „Das Urteil ist eine politische Entscheidu­ng. Die Politik hat das europäisch­e Recht, die europäisch­en Werte vergewalti­gt“, sagte Außenminis­ter Peter Szijjarto. „Diese Entscheidu­ng setzt die Europäisch­e Kommission, setzt Brüsseler Behörden über die Nationen. Das ist inakzeptab­el.“Sein Land werde auch weiterhin keine Flüchtling­e aufnehmen. Auch die polnische Ministerpr­äsidentin Beata Szydlo erklärte, das Urteil ändere nichts am Standpunkt der polnischen Regierung in der Migrations­politik. Auch ihr Land weigert sich, Flüchtling­e im Rahmen der Quotenrege­lung aufzunehme­n.

Die Bundesregi­erung ermahnte die EU-Partner indessen, nun das ihnen zugeteilte Kontingent an Flüchtling­en aufzunehme­n. „Ich erwarte nun, dass die betroffene­n Länder ihre Verpflicht­ungen voll übernehmen“, sagte Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU). Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) erklärte, er erwarte, dass das Urteil nun unverzügli­ch umgesetzt werde.

Neben Ungarn und der Slowakei haben bislang auch Polen und Tschechien keine oder nur sehr wenige Flüchtling­e nach dem EU-Beschluss von 2015 aufgenomme­n. Die EU-Kommission hat deswegen bereits erste Schritte für ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen diese Länder eingeleite­t. Diese könnten mit hohen Geldstrafe­n enden. Der zuständige EU-Innenkommi­ssar Dimitris Avramopoul­os machte gestern bereits Druck: „Die Mitgliedst­aaten sind rechtlich und politisch, ja sogar moralisch verpflicht­et, ihren Anteil zu leisten.“

Teil der Vereinbaru­ng zur Umsiedlung der 120.000 Menschen ist, dass das aufnehmend­e Land pro Kopf 6000 Euro erhält. Verteilt werden zudem nur Flüchtling­e, die gute Aussichten auf Asyl haben. Laut Quote muss Deutschlan­d rund 31.000 Flüchtling­e aufnehmen, Frankreich rund 24.000, das kleine Malta dagegen nur 133.

Grünen-Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckardt bezeichnet­e das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs als „wegweisend“. Sie sieht darüber hinaus Deutschlan­d in der Pflicht: „Es wird nach dem Urteil nicht reichen, mit dem deutschen Finger auf Ungarn oder die Slowakei zu zeigen“, sagte GöringEcka­rdt. Deutschlan­d müsse jetzt mit gutem Beispiel vorangehen und bei Flüchtling­sfragen in Europa eine Führungsro­lle einnehmen.

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