Verdächtiger Frieden im Wahlkampf
Nun ist das Politainment überstanden. Das Kanzlerduell hat sich als Kanzlerduett erwiesen, die kleineren Parteien haben am Folgetag vorgemacht, dass sich über viele Themen durchaus streiten lässt, und das Land ist nicht aufgeschreckt worden. Von Populistengezänk wurde es verschont. Von vielen Zukunftsfragen auch. Man hätte es erwarten können. Die Große Koalition prägt eben auch den Ton in diesem Wahlkampf. Und den Kontrahenten haben die Berater anscheinend wirkungsvoll eingeimpft, dass auf deutsche Wähler nichts abschreckender wirkt, als offensichtliche Aggressivität, Süffisanz, mangelnder Respekt.
Doch mit Frieden an der Oberfläche ist es so eine Sache. Er stellt sich oft gerade dann ein, wenn es darunter eigentlich brodelt, aber niemand den Mut hat, hinzusehen und Konflikte zu riskieren. Näher betrachtet sind die Kanzlerin und ihr
Populistengezänk ist den Deutschen bei den Wahlkampfauftritten im TV erspart geblieben. Doch dass Flüchtlingsfragen dominierten, Zukunftsfragen dagegen nur von den kleinen Parteien behandelt wurden, ist ein Zeichen tief sitzender Angst.
Herausforderer zwar vernünftig miteinander umgegangen, aber sie haben fast ausschließlich über Migration und den Umgang mit den USA und der Türkei geredet. Fragen, die mit Bedrohungsgefühlen in der Gesellschaft zu tun haben, mit Ängsten, die viele Menschen vor allem gegenüber dem Einfluss von außen haben. Sei es nun in Gestalt von Migranten, die nach Deutschland kommen, oder bedrohlicher Staatschefs wie Erdogan und Trump.
Natürlich hat es auch an den Fragen der Journalisten gelegen, dass die bekannten Angstthemen derart großen Raum bekamen. Als gäbe es nicht andere Bereiche, die wahrscheinlich mehr über unsere Zukunft entscheiden, von der Bildung bis zum Umweltschutz. Doch auch den Politikern schien dieser Schwerpunkt recht. Der Umgang mit den Flüchtlingen scheint ein verführerisches Wahlkampfthema zu sein, weil sich darin vieles mischt: Fragen der Identität, der Einstellung zur Globalisierung, menschliche Schicksale, Bedrohungspotenzial, die Sehnsucht nach der brüchig gewordenen Stärke des Staates. All das erzeugt Befindlichkeiten, über die sich endlos streiten lässt – und die alles andere überlagern.
Dabei sind es womöglich Ohnmachtserfahrungen in anderen Lebensbereichen, die viele beim Thema Migration so verhärten lassen. Angst vor sozialem Abstieg ist ja kein Minderheitenproblem, sondern beschäftigt auch die, denen es heute gut geht.
Darum ist Gerechtigkeit kein Gähnthema. Abgehängtheitsgefühle und die Furcht davor bekämpft man nicht, indem man lieber nicht darüber redet. Auch wenn Wettern gegen Trump und die Türkei bessere Vorlagen für markige Worte liefert. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de