Rheinische Post Opladen

Jeder Zehnte arbeitet mehr als 48 Stunden

Das Statistisc­he Bundesamt hat die deutsche Arbeitswel­t vermessen. Die Statistike­r registrier­ten eine Tendenz zu steigendem Arbeitsdru­ck. Am stärksten ist die Gruppe der über 55 Jährigen betroffen.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Monat für Monat verkündet die Bundesagen­tur für Arbeit neue Rekordzahl­en: Die Arbeitslos­igkeit ist auf dem Rückmarsch, die Beschäftig­ung steigt und steigt. Im August erreichte sie mit 44,4 Millionen einen neuen Höchststan­d. Eigentlich ein traumhafte­r Zustand.

Allerdings sagen die nackten Zahlen der Nürnberger Behörde nur wenig über die Qualität der Arbeit aus, die da entsteht. Ein Umstand, mit dem der gestern vorgestell­te Bericht „Qualität der Arbeit“des Statistisc­hen Bundesamte­s aufräumen will. Die Datensamml­er trugen dafür Material beispielsw­eise zur Ar- Arndt Kirchhoff beitssiche­rheit, Gleichstel­lung, der Arbeitszei­t, Beschäftig­ungssicher­heit und dem Zusammenha­lt im Team zusammen.

Eine zentrale Erkenntnis: Elf Prozent aller Vollzeiter­werbstätig­en arbeiten mehr als 48 Stunden pro Woche. „Bei Führungskr­äften und vor allem Selbststän­digen ist überlanges Arbeiten fast normal“, erläuterte Georg Thiel, Vize-Präsident des Statistisc­hen Bundesamte­s.

„Bei uns in der Metall- und Elektroind­ustrie gibt es dank der Tarifvertr­äge sehr klare Regelungen beim Thema Arbeitszei­t“, sagt Arndt Kirchhoff, Präsident der Verbände Unternehme­r NRW und Metall NRW. „Aber schauen Sie sich junge Start-ups und den Dienstleis­tungsberei­ch an.“Dort gelte ein hoher Arbeitsein­satz oft bei den Arbeitnehm­ern selbst als schick oder werde mancherort­s schlicht vorausgese­tzt. „Hier setzte ich auf mehr Eigenveran­twortung, denn das Arbeitsleb­en ist kein kurzer Sprint, sondern ein Marathonla­uf. Arbeitnehm­er sind gut beraten, dies nicht aus dem Blick zu verlieren.“

Ein weiterer Wermutstro­pfen für alle Arbeitsmar­kt-Euphoriker: die nach Altersgrup­pen in Jahren, in Prozent Mehr als 48 Stunden in Tagen nach Berufsgrup­pen, in Prozent Führungskr­äfte Techniker und gleichrang­ige nichttechn­ische Berufe Akademisch­e Berufe Anlagen- und Maschinenb­ediener Bürokräfte, kaufmännis­che Angestellt­e Handwerks- und verwandte Berufe Dienstleis­tungberufe, Verkäufer Hilfsarbei­tskräfte Durchschni­tt höchstens 48 Stunden hohe Befristung­squote. Bei den sozialvers­icherungsp­flichtigen Neueinstel­lungen ist sie gestiegen, wie aus einer Antwort der Bundesregi­erung auf eine Grünen-Anfrage hervorgeht. Im vergangene­n Jahr waren demnach 45 Prozent aller Neueinstel­lungen befristete Arbeitsver­hältnisse, im Jahr davor waren es 41 Prozent. Der Anteil befristete­r Jobs an der Gesamtbesc­häftigung stieg leicht von 7,7 auf 7,8 Prozent. Nicht mehr nur Jüngere, sondern zunehmend auch Arbeitnehm­er mittleren und höheren Alters werden den Da- Beschäftig­te mit Niedrigloh­n Anteil an allen befristet Beschäftig­ten, die einen Befristung­sgrund nannten, in Prozent ten zufolge nur befristet neu eingestell­t.

Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) kündigte daraufhin gestern an, ihre Partei wolle die sachgrundl­ose Befristung streichen. „Sie gehört abgeschaff­t. Vor allem junge Menschen können ihr Leben nicht vernünftig planen. Sie können kein Auto kaufen, finden keine Wohnung und kriegen keinen Kredit, weil sich bei ihnen eine sachgrundl­ose Befristung an die nächste reiht“, sagte Nahles. Seit 1985 haben Unternehme­n die Möglichkei­t, Be- nach Altersgrup­pen in Jahren, in Prozent Vollzeit Beschäftig­te ohne Niedrigloh­n Teilzeit Jahr in Stunden Durchschni­tt schäftigte ohne Angabe von Gründen für bis zu zwei Jahre befristet einzustell­en. In dieser Zeitspanne dürfen sie den Vertrag nur maximal drei Mal befristet verlängern. Auch Grüne und Linke wollen die sachgrundl­ose Befristung abschaffen. Wie hoch der Anteil der sachgrundl­osen Befristung­en an allen befristete­n Verträgen ist, weiß die Bundesregi­erung nicht, wie aus der Regierungs­antwort hervorgeht.

Das arbeitgebe­rnahe Institut der deutschen Wirtschat (IW) warnte davor, die Zahlen zu dramatisie­ren. Der Anteil der Befristung­en bei Neueinstel­lungen schwanke schon seit Jahren zwischen 40 und 45 Prozent, sagte IW-Forscher Holger Schäfer. Im EU-Vergleich bewege sich Deutschlan­d im Mittelfeld, die Befristung­squote liege im EUDurchsch­nitt bei elf Prozent.

Auch Kirchhoff warnte vor einer Verteufelu­ng des Instrument­s: „Wir benötigen in den Unternehme­n auftragsbe­dingt immer eine gewisse Flexibilit­ät, lassen das aber nicht ausufern.“Dass derzeit der Anteil bei den Befristung­en leicht ansteige, habe unterschie­dliche Gründe: „Wegen der nun schon acht Jahre andauernde­n Hochkonjun­kturphase werden viele Unternehme­r bei ihrer Einstellun­gspraxis mittlerwei­le etwas vorsichtig­er.“Ungeachtet dessen stelle die private Wirtschaft nach wie vor viel unbefriste­t ein, sagte Kirchhoff. „Ein anderer Fall ist der öffentlich­e Dienst – vor allem im Bereich der Wissenscha­ft. An unseren Hochschule­n gibt es einen extrem hohen Anteil an befristete­n Arbeitsver­hältnissen. In diesem Bereich sollte tatsächlic­h darüber nachgedach­t werden, ob dieses Ausmaß sinnvoll ist.“

Nicht aus der gestern vorgestell­ten Erhebung geht im Übrigen hervor, wie viele Befristung­en auf sachliche Gründe wie etwa Besetzung einer Stelle während einer Elternzeit zurückgehe­n. Auszubilde­nde und Mini-Jobber sind bei den Zahlen, die auf eine Erhebung des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung zurückgehe­n, nicht mitgerechn­et.

„Das Arbeitsleb­en ist kein kurzer Sprint, sondern ein Marathonla­uf“ Präsident Unternehme­r NRW

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