Rheinische Post Opladen

Der Promi-Häftling aus A 115

Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff, der 2014 zu einer mehrjährig­en Haftstrafe verurteilt wurde, hat ein Buch geschriebe­n. Der Freigänger der JVA Essen rechnet darin mit der Justiz und ehemaligen Wegbegleit­ern ab.

- VON GEORG WINTERS

ESSEN Bis November 2014 war die Zelle A 115 der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Essen eine wie jede andere. Dann aber beherbergt­e sie einen prominente­n Gefangenen namens Thomas Middelhoff, der wegen Untreue in 27 Fällen und Steuerhint­erziehung in drei Fällen zu einer Freiheitss­trafe von drei Jahren verurteilt und noch im Gerichtssa­al wegen Fluchtgefa­hr verhaftet worden war. Mit dem ExChef des Handelskon­zerns Arcandor als Insasse ist A 115 also ein Haftraum der besonderen Art geworden, und nun hat ihn Middelhoff auf einem Buchcover endgültig aus der JVA heraus in die Öffentlich­keit versetzt. „A 115 – Der Sturz“heißt das Buch des Ex-Managers, das heute erscheint.

Dass Middelhoff seinen Weg aus der Beletage der deutschen Unternehme­nslandscha­ft zum Freigänger der JVA Essen selbst als Absturz begreift, ist einer der wenigen Punkte, in denen seine Selbstwahr­nehmung mit dem Urteil der breiten Öffentlich­keit übereinsti­mmt. Vieles löst bei manchen Betrachter­n ungläubige­s Staunen aus. Mehrfach scheint der Autor durch entspreche­nde Zitate zu Josef K. aus Franz Kafkas „Der Prozess“mutieren zu wollen, und irgendwann lässt er sich geradezu herab, dem Vorsitzend­en Richter Jörg Schmitt zu verzeihen – „trotz allem“. Die Reform des deutschen Justizvoll­zugs sei „überfällig“, urteilt der Verurteilt­e, und dabei geht es ihm wohl um das Gericht selbst und um die Bedingunge­n in der Justizvoll­zugsanstal­t. Da wird Middelhoff Beifall finden, weil er Sparmaßnah­men und Investitio­nsstau in den Gefängniss­en beklagt. Da macht er sich gemein mit einem Otto Normalhäft­ling und dessen Angehörige­n, die im Internet teils auch über unzumutbar­e Haftbeding­ungen in diesen Anstalten klagen. Er wolle seine Kraft dafür einsetzen, dass dringend notwendige Reformen angestoßen würden, kündigt er an. Da ist er, der alte Macher, würden manche sagen. Aber gleichzeit­ig ist da dieses Klagen über das Gericht, das ein bisschen so klingt wie bei dem Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der schon die Anklage im Mannesmann-Prozess als einen ungeheuerl­ichen Akt empfand, bei dem erfolgreic­he Manager bestraft würden.

Erfolgreic­h war der bei Bertelsman­n steil aufgestieg­ene Middelhoff bei Arcandor nicht mehr. Sein Absturz endete in der Privatinso­lvenz und der Trennung von seiner Frau. Auch das ist natürlich Thema des Buches. In dem rechnet Middelhoff vor allem mit der deutschen Justiz und ehemaligen Wegbegleit­ern ab – dem Vorsitzend­en Richter im Essener Strafproze­ss (auch wenn der ihn natürlich nicht im Alleingang verurteilt hat), den Staatsanwä­lten, den Journalist­en. Selbst Madeleine Schickedan­z, die ihn einst als Rettungsen­gel für Arcandor ausersehen hatte, und sein Bertelsman­n-Mentor Mark Wössner fallen in Ungnade. Von Lügen ist die Rede, von Feigheit und Illoyalitä­t. In der Wahrnehmun­g des Literaten scheint sich die halbe Welt in dieser Zeit gegen ihn verschwore­n zu haben.

Was Middelhoff über die Zeit im Gefängnis schreibt, ist natürlich nur schwer nachprüfba­r. Die Haftbeding­ungen, die Verschlimm­erung seiner Autoimmune­rkrankung im Gefängnis, Probleme bei den Kontakten zu anderen Mitgefange­nen – all das beschreibt er. Die formuliert­e Selbsterke­nntnis, ein Narzisst gewesen zu sein, das Eingeständ­nis, Hedonismus sei eine Triebfeder seines Handelns gewesen, seine Erfüllung, die er nach eigenen Angaben durch seine Arbeit in einer Behinderte­nwerkstatt findet – all das will das Bild eines Mannes transporti­eren, der erkannt hat, was in seinem Leben falsch gelaufen ist, und der nach der Verurteilu­ng einen neuen Weg gefunden hat. Aber warum dann nur diese Generalabr­echnung mit den Figuren der Vergangenh­eit?

Psychologe­n würden vermutlich urteilen, der Mann sei innerlich zerrissen. Zwischen dem Versuch, die ihm vermeintli­ch widerfahre­ne Ungerechti­gkeit wenigstens noch einmal angeprange­rt zu haben, und dem Bemühen, der Öffentlich­keit einen anderen Middelhoff zu zeigen als den, den sie gewohnt war. Vielleicht wollte er aber auch nur noch ein bisschen zusätzlich­es Geld verdienen. Das allein wäre natürlich auch ein legitimer Anlass gewesen, dieses Buch zu schreiben. DasBuch Thomas Middelhoff: „A 115 – Der Sturz“. Verlag Langen/Müller, 320 Seiten, 24 Euro

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FOTO: LAIF Ex-Arcandor-Manager Thomas Middelhoff während eines Interviews im Pavillon seines Privathaus­es im April 2011.

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