Rheinische Post Opladen

Willemsens Landschaft­stexte – gekonnt gelesen

- VON MONIKA KLEIN

LEVERKUSEN Wenn die Betrachtun­g von Landschaft­en auf dem Programm steht, ist das normalerwe­ise eine Aufgabe für die Augen. Aber die konnten Besucher der musikalisc­hen Lesung bei Bayer Kultur am Sonntagabe­nd getrost schließen. Auf der schwarz ausgeschla­genen Bühne waren nur die drei Akteure zu sehen, von Landschaft­en keine Spur. Und dennoch sah sie jeder einzelne ganz deutlich vor dem inneren Auge, dank der ausgesproc­hen plastrisch­en Beschreibu­ng in den Texten von Roger Willemsen. Der Schauspiel­er Walter Sittler las etliche Kapitel aus dessen Vermächtni­s – ganz ruhig und mit einer gewissen Ehrfurcht vor der Formulieru­ngskunst des Autors.

Teils amüsiert, teils berührt waren die Zuhörer, wenn Willemsen etwa die Kreidefels­en auf Rügen betrachtet und feststellt, dass die Wirklichke­it nicht ganz der idealisier­ten romantisch­en Darstellun­g von Caspar David Friedrich entspricht, die ihm schon aus Kindertage­n bekannt war. „Ja, war ihm denn die Natur nicht schön genug?“, hinterfrag­t der Autor, um dann auch die Menschen ringsum in den Blick zu nehmen.

Es waren also nicht nur Landschaft­en im eigentlich­en Sinne, die dort im Kopfkino Gestalt annahmen, sondern ebenso die dazugehöri­gen Menschen. Die hat der geniale Beobachter mit manch ungewöhnli­chen Vergleiche­n charakteri­siert, aber doch so treffend, dass man sich mittendrin wähnt. Etwa auf der Rolltreppe, wo die unterschie­dlichsten Typen hoch- und runterfahr­en, oder in der U-Bahn, wo die Mitfahrend­en anscheinen­d passend zu den jeweiligen Stationen wechseln. Es sind humorvolle und manchmal auch harte Feststellu­ngen, jedoch nicht verletzend oder richtend.

Das trifft auch auf die Städte zu, die Willemsen mit kritischem Blick betrachtet. Oder wenn er notiert, dass heute Autobahnkr­euze die Landschaft durchschne­iden, die einst Heimat war. Wenn er über Landflucht oder bayerische Eigenarten nachdenkt. Fasziniert lauschte das Publikum im Erholungsh­aus der weichen Stimme Walter Sittlers.

Geradezu hingerisse­n waren die Besucher von der Musik, die in die- sem Programm noch größeren Raum einnimmt. Stücke aus dem Barock und vorwiegend aus dem 19. und 20. Jahrhunder­t haben die Geigerin Franziska Hölscher und die Pianistin Marianna Shirinyan zusammen mit Roger Willemsen ausgesucht. Es sind weitgehend unbekannte Kompositio­nen, die seine Texte nicht illustrier­en, sondern ihrerseits Stimmungen und Emotionen wecken.

Ein wundervoll­es Zusammensp­iel zwischen Musik und Lesung, das am Ende mit heftigem Applaus belohnt wurde.

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