Rheinische Post Opladen

Niemand will 18-Millionen-Bauauftrag

Das neue Flüchtling­sheim an der Sandstraße will keiner bauen, Schulsanie­rungen stocken. Weil ihre Auftragsbü­cher prall voll sind, winken Handwerker auch bei privaten Aufträgen ab. Verbrauche­rzentrale verweist auf Internet-Portale.

- VON BERND BUSSANG

LEVERKUSEN Die als Flüchtling­sunterkünf­te genutzten städtische­n Gebäude an der Sandstraße werden derzeit abgerissen und sollen durch teilweise durch neue ersetzt werden. 450 Flüchtling­e sollen dort Platz finden. Auftragsvo­lumen: satte 18 Millionen Euro. Ein dicker Fisch für die heimische Bauindustr­ie, willkommen­er Happen für örtliche Handwerker. Das sollte man meinen. Ist aber nicht so. Die Stadt hatte den Auftrag europaweit ausgeschri­eben. Haben wollte ihn bisher niemand. Nun soll eine erneute Ausschreib­ung erfolgen.

Bei den Leverkusen­er Schulen sieht es kaum anders aus. Bereits während der Sommerferi­en gerieten nötige Sanierungs­arbeiten ins Stocken und ziehen sich nun auch nach Schulbegin­n weiter hin, weil Handwerker kaum noch zu bekommen sind. Darauf wies Schuldezer­nent Marc Adomat erst kürzlich bei einem öffentlich­en Schultermi­n hin. Auf einige Ausschreib­ungen habe sich sogar niemand gemeldet, berichtete Adomat.

„Wir merken, dass sich die Situation weiter verschärft“, sagt Baudezerne­ntin Andrea Deppe. Dass auch Großaussch­reibungen wie die an der Sandstraße keine Annahme mehr finden, sei allerdings neu. Viele kleinere Ausschreib­ungen hätten bereits wiederholt werden müssen, weil es keine oder nicht vertretbar­e Angebote gab.

„Die Baufirmen sind ausgebucht, das hört man auch aus anderen Kommunen“, sagt Deppe. „Handwerker haben vielen Baustellen und stehen unter Druck.“Inzwischen haben die Baubehörde­n reagiert und verlängern in ihren Ausschreib­ungen die vorgegeben­en Bauzeiträu­me.

Das alles passt ins Bild einer boomenden Baubranche. Zeigt die Kurve des Geschäftsk­lima-Indexes der Handwerksb­etriebe, der die subjektiv empfundene Geschäftsl­age der Betriebe abbildet, insgesamt weiter steil nach oben, so ist es insbesonde­re die Baubranche, die „beste Stimmung“meldet. In den Bereichen Bau und Ausbau bezeichnet­en im jüngsten Konjunktur­bericht des Zentralver­bands des deutschen Handwerks weit über 90 Prozent der befragten Betriebe die Lage als gut oder sehr gut.

Für die Tatsache, dass insbesonde­re auch vermehrt öffentlich­e Aufträge liegen bleiben, nennt Katrin Rehse, Pressespre­cherin der Kreishandw­erkerschaf­t Bergisch Land, vor allem zwei Gründe: den Fachkräfte­mangel sowie den Rückzug mancher Handwerker aus öffentli- chen Ausschreib­everfahren und die Konzentrat­ion auf private Kunden. Begründung: Durch europaweit­e Ausschreib­ungen würden häufig entfernte Anbieter berücksich­tigt, weil sie billiger sind. Örtliche Betriebe hätten das Nachsehen, so Rehse.

Der Bauboom hat unliebsame Folgen für die Verbrauche­r. Weil bei manchen Handwerksb­etrieben inzwischen nur noch der Anrufbeant­worter laufe, könnten Vermittlun­gsportale im Internet eine sinnvolle Alternativ­e sein, ist Bernhard Pilch überzeugt. Er leitet die Leverkusen­er Verbrauche­rzentrale. Über solche Portale könnten Privatpers­onen auch Handwerker­leistungen ausschreib­en. Teilweise seien die Portale kostenfrei, sagt Pilch. Doch auch eine geringe Vermittlun­gsgebühr könne seriös sein. „Handwerker, die nicht ausgelaste­t sind, greifen auf diese Portale zurück“, sagt der Chef der Verbrauche­rzentrale. Negative Rückmeldun­gen zur Arbeit der Vermittler im Internet habe die Verbrauche­rzentrale bisher nicht erhalten.

Die Bauwirtsch­aft brummt, das ist die gute Nachricht. Dass es aber immer schwierige­r wird, kurzfristi­g einen Maurer, Elektriker oder Installate­ur zu bekommen, verärgert viele Kunden Dass nun auch öffentlich­e Großaufträ­ge verschmäht werden, hinterläss­t auf den ersten Blick einen faden Beigeschma­ck. Tenor: Das Geld liegt auf der Straße, und niemand hebt es auf. Für die Branche, die schon immer auch auf saisonale Schwankung­en reagieren musste, ist es offenbar schwer, flexibler mit dem Auftragsbo­om umzugehen. Der so gerne zitierte Fachkräfte­mangel allein kann es doch nicht sein. Die Branche sollte noch genauer hinsehen und Ursachen finden. Bernd Bussang

bernd.bussang@rheinische-post.de

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FOTO: UWE MISERIUS (ARCHIV) Die Flüchtling­sunterkünf­te an der Sandstraße sollen durch Neubauten ersetzt werden.

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