Niemand will 18-Millionen-Bauauftrag
Das neue Flüchtlingsheim an der Sandstraße will keiner bauen, Schulsanierungen stocken. Weil ihre Auftragsbücher prall voll sind, winken Handwerker auch bei privaten Aufträgen ab. Verbraucherzentrale verweist auf Internet-Portale.
LEVERKUSEN Die als Flüchtlingsunterkünfte genutzten städtischen Gebäude an der Sandstraße werden derzeit abgerissen und sollen durch teilweise durch neue ersetzt werden. 450 Flüchtlinge sollen dort Platz finden. Auftragsvolumen: satte 18 Millionen Euro. Ein dicker Fisch für die heimische Bauindustrie, willkommener Happen für örtliche Handwerker. Das sollte man meinen. Ist aber nicht so. Die Stadt hatte den Auftrag europaweit ausgeschrieben. Haben wollte ihn bisher niemand. Nun soll eine erneute Ausschreibung erfolgen.
Bei den Leverkusener Schulen sieht es kaum anders aus. Bereits während der Sommerferien gerieten nötige Sanierungsarbeiten ins Stocken und ziehen sich nun auch nach Schulbeginn weiter hin, weil Handwerker kaum noch zu bekommen sind. Darauf wies Schuldezernent Marc Adomat erst kürzlich bei einem öffentlichen Schultermin hin. Auf einige Ausschreibungen habe sich sogar niemand gemeldet, berichtete Adomat.
„Wir merken, dass sich die Situation weiter verschärft“, sagt Baudezernentin Andrea Deppe. Dass auch Großausschreibungen wie die an der Sandstraße keine Annahme mehr finden, sei allerdings neu. Viele kleinere Ausschreibungen hätten bereits wiederholt werden müssen, weil es keine oder nicht vertretbare Angebote gab.
„Die Baufirmen sind ausgebucht, das hört man auch aus anderen Kommunen“, sagt Deppe. „Handwerker haben vielen Baustellen und stehen unter Druck.“Inzwischen haben die Baubehörden reagiert und verlängern in ihren Ausschreibungen die vorgegebenen Bauzeiträume.
Das alles passt ins Bild einer boomenden Baubranche. Zeigt die Kurve des Geschäftsklima-Indexes der Handwerksbetriebe, der die subjektiv empfundene Geschäftslage der Betriebe abbildet, insgesamt weiter steil nach oben, so ist es insbesondere die Baubranche, die „beste Stimmung“meldet. In den Bereichen Bau und Ausbau bezeichneten im jüngsten Konjunkturbericht des Zentralverbands des deutschen Handwerks weit über 90 Prozent der befragten Betriebe die Lage als gut oder sehr gut.
Für die Tatsache, dass insbesondere auch vermehrt öffentliche Aufträge liegen bleiben, nennt Katrin Rehse, Pressesprecherin der Kreishandwerkerschaft Bergisch Land, vor allem zwei Gründe: den Fachkräftemangel sowie den Rückzug mancher Handwerker aus öffentli- chen Ausschreibeverfahren und die Konzentration auf private Kunden. Begründung: Durch europaweite Ausschreibungen würden häufig entfernte Anbieter berücksichtigt, weil sie billiger sind. Örtliche Betriebe hätten das Nachsehen, so Rehse.
Der Bauboom hat unliebsame Folgen für die Verbraucher. Weil bei manchen Handwerksbetrieben inzwischen nur noch der Anrufbeantworter laufe, könnten Vermittlungsportale im Internet eine sinnvolle Alternative sein, ist Bernhard Pilch überzeugt. Er leitet die Leverkusener Verbraucherzentrale. Über solche Portale könnten Privatpersonen auch Handwerkerleistungen ausschreiben. Teilweise seien die Portale kostenfrei, sagt Pilch. Doch auch eine geringe Vermittlungsgebühr könne seriös sein. „Handwerker, die nicht ausgelastet sind, greifen auf diese Portale zurück“, sagt der Chef der Verbraucherzentrale. Negative Rückmeldungen zur Arbeit der Vermittler im Internet habe die Verbraucherzentrale bisher nicht erhalten.
Die Bauwirtschaft brummt, das ist die gute Nachricht. Dass es aber immer schwieriger wird, kurzfristig einen Maurer, Elektriker oder Installateur zu bekommen, verärgert viele Kunden Dass nun auch öffentliche Großaufträge verschmäht werden, hinterlässt auf den ersten Blick einen faden Beigeschmack. Tenor: Das Geld liegt auf der Straße, und niemand hebt es auf. Für die Branche, die schon immer auch auf saisonale Schwankungen reagieren musste, ist es offenbar schwer, flexibler mit dem Auftragsboom umzugehen. Der so gerne zitierte Fachkräftemangel allein kann es doch nicht sein. Die Branche sollte noch genauer hinsehen und Ursachen finden. Bernd Bussang
bernd.bussang@rheinische-post.de