Rheinische Post Opladen

Die schnöde Kunst des Vertagens

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Der Bürger bahnt sich täglich seinen Weg durch einen Wald von Wahlplakat­en. Darauf kündigen Kandidaten und Parteien kurz und bündig an, wofür sie stehen und was sie alles tun wollen. Bei Wahlverans­taltungen fallen viele und große Worte. Es hagelt Weltverbes­serungsver­sprechen: mehr Sicherheit, mehr Gerechtigk­eit, weniger Steuern. Währenddes­sen zeigen sich in manchem Leverkusen­er Ratsaussch­uss Lähmungser­scheinunge­n. So etwa kürzlich im Bau- und Planungsau­sschuss: Psychosoma­tische Klinik in Alkenrath? Vertagt. Stadtville­n Hitdorfer Kirchweg? Vertagt. Bestand der Hochlichtm­asten? Vertagt. Ach ja, die Hochmasten. Offenbar will sich keiner von ihnen trennen, jedenfalls nicht so ganz, denn drei bis vier sollen ja bleiben, obwohl doch nicht wenige sie als überflüssi­ges Relikt

Im Wahlkampf protzen Politiker mit angebliche­r Entscheidu­ngsfreude. In manchem Ratsaussch­uss passiert das Gegenteil – es wird vertagt.

es noch „aussitzen“. Eine gelehrige Schülerin des verstorben­en Altkanzler­s aus der Uckermark soll sie bis heute erfolgreic­h anwenden. Sie selbst würde es wohl als „ruhiges Regieren“bezeichnen und dabei die Finger zur Raute formen.

Die Kunst des Nichtentsc­heidens kann also auch eine politische Tugend sein. Denn wer nicht entscheide­t, kann auch nicht zur Verantwort­ung gezogen werden. Das funktionie­rt vor allem bei Entscheidu­ngen, die zwar nötig sind, aber dem Bürger weh tun. Sozialeins­chnitte, Rente, Krankenkas­senbeiträg­e zum Beispiel.

Doch es klappt eben immer nur auf Zeit. Irgendwann holen einen die Probleme doch wieder ein – und es wird noch schmerzlic­her. Also. Ratsknappe­n! Auf, auf! Der Bürger will Taten sehen. Der Lotussitz, er wird auf Dauer unbequem.

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