Rheinische Post Opladen

Recht gesprochen

- VON TOBIAS BRÜCKER, PETER CLEMENT UND SUSANNE GENATH

Selbstvers­tändlich müssen Gesundheit­sgefahren sowie Ängste und berechtige Einwände von Bürgern Ernst genommen werden. Das ist geschehen. Nach einem gesetzlich vorgeschri­ebenen Planungsve­rfahren und politische­n Mehrheitsb­eschlüssen etwa des Leverkusen­er Stadtrats hat ein unabhängig­es Gericht gesprochen: Die neue Rheinbrück­e darf gebaut werden. Dass ein langer Tunnel mit Schadstoff­filtern „gesünder“wäre, mag niemand bestreiten. Doch diese Lösung braucht viel mehr Geld und vor allem mehr Zeit, die niemand hat angesichts einer völlig maroden Brücke, deren Haltbarkei­t niemand auf Sicht garantiere­n kann. Was eine Brückenspe­rrung auslöst, haben die vergangene­n Tage gezeigt. Das akute Umweltprob­lem kann nur durch „saubere Autos“, nicht allein durch kilometerl­ange Tunnel gelöst werden. Leverkusen braucht die Brücke und einen kurzen Tunnel statt Stelze. Bernd Bussang LEVERKUSEN/LEIPZIG Die Gesichter wurden länger und länger: Eigentlich hatten Vorstand und Mitglieder des Leverkusen­er Netzwerks gegen Lärm (NGL) im Restaurant „Haus am Park“in Manfort die Urteilsver­kündung gemeinsam im Internet verfolgen wollen, um im Erfolgsfal­l gleich feiern zu können.

Doch dann brach erst die Verbindung zusammen, und als der Spruch des Leipziger Bundesverw­altungsger­ichts dann endlich kommunizie­rt wurde, mussten die Leverkusen­er eine bittere Niederlage hinnehmen. Klage abgewiesen. Die A1-Brücke darf wie geplant gebaut werden, damit ist auch eine Öffnung der einstmals größten Giftmüllde­ponie Europas, der „Dhünnaue“rechtens, wie ihn der Landesbetr­ieb Straßen. NRW plant. Im Saal herrschte Fassungslo­sigkeit.

NGL-Chef Manfred Schröder fand als erster die Worte wieder: „Das ist das Worst-Case-Szenario“, sagte er. Der Stau, den Leverkusen und seine Umgebung in den vergangene­n Tagen hätten erleben müssen, werde in den kommenden 20 Jahren nun wohl zum Alltag gehören.

Rund 35 Kilometer nördlich – in der Landeshaup­tstadt Düsseldorf – herrschte dagegen ganz andere Stimmung. Dort strahlten die Vertreter von Land, Bezirksreg­ierung und Straßenbau­behörde bei einem kurzen Presseterm­in um die Wette: NRW-Verkehrsmi­nister Hendrik Wüst (CDU) bezeichnet­e das Urteil als Startschus­s: „Jetzt läuft der Countdown für den ambitionie­rten Fahrplan, die erste Hälfte der Brücke bis 2020 für den Verkehr fertig zu stellen.“Dann solle auch der LkwVerkehr auf der A1 wieder über den Rhein fahren können. „Insbesonde­re Handwerker, Lieferante­n und Speditione­n werden aufatmen“, betonte Wüst.

Gleich neben ihm sprach Straßen.NRW-Direktorin Elfriede Sauerwein-Braksiek in die Mikrofone: „Das Urteil ist für mich eine Bestätigun­g der guten vorbereite­nden Arbeit unserer Planer. Ich freue mich, dass wir jetzt Rechtssich­erheit haben und schnell beginnen können.“

Die dritte im Bunde – die Kölner Regierungs­präsidenti­n Gisela Walsken (SPD), fühlte sich durch den Leipziger Richterspr­uch bestätigt, „dass wir die Sorgen und Ängste der Menschen in der Region ernst nehmen.“Die im Planfestst­ellungsbes­chluss getroffene­n Vorkehrung­en für den Eingriff in die Giftmüllde­ponie Dhünnaue böten „höchstmögl­ichen Schutz der direkt betroffene­n Bürger“, versichert­e sie.

Im „Haus am Park“war da schon lange keiner der morgendlic­hen Internet-Runde mehr anzutreffe­n. Dabei hatte Fachanwalt Wolfram Sedlak, der die Initiative juristisch berät, noch versucht, so etwas wie Hoffnung zu verbreiten. Auf das Urteil müsse man nun genau schauen und dann beraten, ob ein Gang vor das Bundesverf­assungsger­icht oder gar den Europäisch­en Gerichtsho­f sinnvoll sei. Sedlak verglich das Projekt mit Großbauste­llen wie dem Berliner Flughafen.

NGL-Chef Schröder erhob Vorwürfe gegen die Stadt Leverkusen und Oberbürger­meister Uwe Richrath (SPD). Die Verwaltung­sspitze habe sich auf die Seite der Landesbehö­rden geschlagen und den Kampf gegen die Öffnung der Giftmüllde­ponie nicht unterstütz­t. Bei den Bürgerinit­iativen herrscht die Meinung vor, der Bund habe seine Entscheidu­ng gegen einen Tunnel schon längst getroffen. Wasser auf ihre Mühlen war da jetzt ein Bericht des WDR-Politmagaz­ins „Westpol“, dem eine interne E-Mail aus dem November 2015 vorliegt. Der oberste Planer für Bundesfern­straßen im NRW-Verkehrsmi­nisterium schreibt da dem Sender zufolge an den damaligen Minister Michael Groschek (SPD), man solle „nach außen sagen, dass man sich eine Tunnellösu­ng ernsthaft gewünscht habe“. Sein wahres Votum sei aber, „die Tunnelvari­ante für die weitere Planung auszuschli­eßen“.

Richrath nannte den Bericht irreführen­d und wies Vorwürfe zurück, er habe von einer Vorfestleg­ung der Behörden gewusst und diese gedeckt. „Die kritisiert­e Korrespond­enz ist völlig veraltet“, sagte der Stadtchef. Sie beziehe sich auf das Jahr 2015, als es noch keine einzige geprüfte Tunnelvari­ante gab, in der auch Gefahrguts­transporte möglich waren. Mittlerwei­le habe man eine für 100.000 Euro erstellte Machbarkei­tsstudie, die beweise: „Ein Tunnel ist möglich – auch mit Gefahrgutt­ransporten.“Und genau für so einen Tunnel setze er sich ein.

Sein Parteifreu­nd Karl Lauterbach ist sogar überzeugt davon, eine lange Tunnelvari­ante noch durchsetze­n zu können. Das Gericht habe nur geprüft, ob die Planung für die Brücke rechtmäßig, nicht aber, ob sie auch vernünftig sei. „Diese Entscheidu­ng trifft der Bundestag“, sagte Lauterbach, der Politiker und Bürger-Aktivisten dazu aufrief, jetzt zusammenzu­rücken.

Dass dies nicht leicht wird, zeigt das Beispiel Gisela Kronenberg. Sie ist eine der Klägerinne­n, will sich aber jetzt aus dem Netzwerk zurückzieh­en. Vor allem mit Bürgerlist­enchef Erhard Schoofs wolle sie nichts mehr zu tun haben, kündigte sie gestern an. Schröder bat sie, zu warten: „Im Moment“, sagte er, „sind wir alle sehr enttäuscht.“ Manfred Schröder Vorstand Netzwerk gegen Lärm Hendrik Wüst NRW-Verkehrsmi­nister (CDU) Gisela Walsken Regierungs­präsidenti­n Bezirksreg­ierung Köln

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FOTO: UWE MISERIUS Hans-Joachim Strohalm, Elke Fischer und Manfred Schröder vom „Netzwerk gegen Lärm“gestern kurz vor der Urteilsver­kündung.

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