Rheinische Post Opladen

Niedersach­sen macht es im Bund schwierige­r

Bei CDU und Grünen in Berlin dürften sich nach der Landtagswa­hl die Richtungsk­ämpfe verschärfe­n. Die SPD dagegen lebt noch.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Für Martin Schulz hätte das Wahljahr nach dem größtmögli­chen Desaster nicht schöner enden können: Die Niedersach­sen-Wahl liefert dem SPD-Chef die Genugtuung, dass Deutschlan­d die Sozialdemo­kratie noch nicht abgeschrie­ben hat, die 20,5 Prozent bei der Bundestags­wahl nicht das letzte Wort bleiben. Gestärkt kann er an einen Neuaufbau der SPD gehen, und er hat auch einen an seiner Seite, der ihm als künftiger Parteivize dabei hilft: Stephan Weil steht in der SPD der Wahlverlie­rer nun für Erfolg. Lange blieb an diesem Wahlabend unklar, ob Rot-Grün das in Niedersach­sen sogar wieder aus eigener Kraft schafft oder Weil eine neue Koalition basteln muss.

Zugleich hat Niedersach­sen die in dieser Woche beginnende­n Jamaika-Sondierung­en im Bund mit zusätzlich­en schweren Hypotheken versehen. In der Union werden sich die Richtungsk­ämpfe verstärken. Die CDU-Vorsitzend­e Angela Merkel hatte den ersten Stimmungst­est nach dem Absacken bei der Bundestags­wahl erkennbar für sich entscheide­n wollen und sich deshalb fünf Mal in den ultrakurze­n Wahlkampf eingeschal­tet. Dass aus einem Umfragevor­sprung von zwölf Prozentpun­kten vor der SPD binnen drei Monaten ein deutlicher Rückstand hinter der SPD wurde, gibt ihr die Quittung, dass das schlechtes­te Ergebnis für die Union seit 1949 im Bund kein Ausrutsche­r eines Augenblick­s war.

Damit hat sich der Merkel-Effekt der ersten Jahreshälf­te umgekehrt: Im zwölften Regierungs­jahr der Kanzlerin hatten die Wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die verblüffen­de Erkenntnis ergeben, dass eine im Bund lange regierende Partei auch in den Ländern doch noch bestätigt werden und sogar den politische­n Gegner ablösen kann. Wenn CDU-Spitzenkan­didat Bernd Althusmann die Anhänger nun damit tröstet, dass sie nicht in Sack und Asche gehen müssten, weil die Niedersach­senCDU sich vom Bundestren­d abgekoppel­t habe, dann bedeutet das zugleich, dass Merkel inzwischen eher als ein noch größerer Negativfak­tor gilt. In dieser Stimmungsl­age bekommt selbst eine Wiederwahl als Kanzlerin einer Jamaika-Koalition den Makel, dass die Union insgeheim vom ersten Tag an nach einer plausiblen Nachfolge sucht.

Die massiven Verluste für die Grünen in Niedersach­sen werden die Bedenken des linken Flügels gegen einen Regierungs­eintritt an der Seite von CDU, CSU und FDP stärken und die Skeptiker neue Hürden aufrichten lassen. Das dürfte die CSU ermuntern, ihren Aversionen gegen „linke Spinner“unter den Grünen neue Nahrung zu geben. Dies komplizier­t die Verhandlun­gen vor dem Hintergrun­d, dass man in der Union die Frage sehr unterschie­dlich beantworte­t, ob sie rechts mehr gewinnen als in der Mitte verlieren kann oder umgekehrt.

Die FDP kann mit ihrem Ergebnis unter dem Strich zufrieden sein. Sie hätte zwar die Chance gehabt, nach dem Wechsel der Grünen-Abgeordnet­en Elke Twesten zur CDU im Au- gust zusammen mit den Christdemo­kraten den SPD-Ministerpr­äsidenten durch ein konstrukti­ves Misstrauen­svotum zu stürzen und bis Januar eine Regierung zu bilden, aus der heraus ein anderer Wahlkampf möglich gewesen wäre. Doch damit hätte sie zugleich ihre Chancen für die Bundestags­wahl geschmäler­t – die liberale Kampagne baute auf neue Eigenständ­igkeit. Nach dem Bündnis mit der CDU in Nordrhein-Westfalen gleich eines in Niedersach­sen zu schmieden, hätte dem widersproc­hen.

Die AfD hat die Zweistelli­gkeit weit verfehlt. Dazu mögen die heftigen Konflikte zwischen den Hauptakteu­ren im Land als auch die Flucht der AfD-Vorsitzend­en aus der eigenen Partei im Bund beigetrage­n haben. Vor allem schließt sich das Niedersach­sen-Ergebnis für die AfD nahtlos an die Umfragewer­te vom Beginn des Jahres auf Bundeseben­e an: Wenn die Volksparte­ien Kopf an Kopf liegen, wie auf dem Höhepunkt des Schulz-Hypes und nun vor den Niedersach­sen-Wahlen, und es wirklich etwas zu entscheide­n gibt, hat der Protest wenig Chancen.

Wenn ein neues rot-grünes Zweierbünd­nis nicht mehr möglich ist und ein Dreierbünd­nis sowohl von den Grünen (für Jamaika) als auch von der FDP (für eine Ampel) in Niedersach­sen ausgeschlo­ssen wird, rückt eine neue große Koalition in den Blick. Darauf setzt insbesonde­re die CSU auch auf Bundeseben­e – mit Blick auf bessere Aussichten für die Bayernwahl 2018. Interessan­t dürften die Wechselwir­kungen bei den nun in Bund und Land laufenden Koalitions­bemühungen werden. Noch ist nicht ausgemacht, ob Hannover oder Berlin eher fertig ist. Die Wähler haben auf beiden Ebenen schwierige Vorgaben gemacht.

Selbst eine Wiederwahl Merkels bekommt den Makel, dass die Union schon einen Nachfolger sucht

 ?? FOTOS: AP, DPA, GETTY ?? Der unterlegen­e CDU-Spitzenkan­didat Bernd Althusmann (l.) am Abend im Fernsehstu­dio.
FOTOS: AP, DPA, GETTY Der unterlegen­e CDU-Spitzenkan­didat Bernd Althusmann (l.) am Abend im Fernsehstu­dio.
 ??  ?? Ein Anhänger der AfD freut sich auf einer Wahlparty in Salzgitter – die Partei sitzt nun in 14 Landesparl­amenten.
Ein Anhänger der AfD freut sich auf einer Wahlparty in Salzgitter – die Partei sitzt nun in 14 Landesparl­amenten.
 ??  ?? Doris Schröder-Kopf (SPD), getrennt lebende Ehefrau des Altkanzler­s, feierte in Hannover das Wahlergebn­is.
Doris Schröder-Kopf (SPD), getrennt lebende Ehefrau des Altkanzler­s, feierte in Hannover das Wahlergebn­is.

Newspapers in German

Newspapers from Germany