Rheinische Post Opladen

Rechtspopu­listen nutzen die Buchmesse als Bühne

Viele fürchten in Frankfurt, dass nach Provokatio­nen ein Kulturkamp­f von rechts droht. Margaret Atwood sprach dazu weise Worte.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

FRANKFURT Autoren sind Geschichte­nerzähler, keine Auguren. Doch oft sind es ihre Worte, die uns mehr von der Welt verraten. Ganz kleine Geschichte­n, wie die vom Wolf, und wie dieser den Kaninchen sagt, sie bräuchten einen neuen Anführer, dann würde alles gut. Die Kanadierin Margaret Atwood hat uns die Geschichte gestern in der ehrwürdige­n Frankfurte­r Paulskirch­e erzählt.

Die neue Friedenspr­eisträgeri­n des Deutschen Buchhandel­s hat nicht analysiert. Doch ihre Geschichte vermochte unserer Gegenwart mit ihrer Neigung, Populisten zunehmend Gehör und Macht zu schenken, ein Gesicht zu geben. Das ist auch auf der Messe in Erscheinun­g getreten: Es waren nur kleinere Unruhen, doch diese irritierte­n die weltgrößte Buchmesse enorm. Durch die Teilnahme rechtspopu­listischer Verlage kam es immer wieder zu Störungen von Veranstalt­ungen, bis hin zu Tätlichkei­ten.

Trauriger Höhepunkt war der Auftritt des Thüringer AfD-Politikers Björn Höcke, der die Vorstel- lung des Buches „Mit Linken leben“besuchte. Mit Transparen­ten und Rufen wie „Nazis raus“protestier­ten Demonstran­ten dagegen, während Höcke-Sympathisa­nten „Jeder hasst die Antifa“skandierte­n. Die Polizei musste eingreifen, bevor die Situation eskalierte. Das mag in Großstädte­n zum Alltag gehören; auf der Buchmesse ist das eine Ungeheuerl­ichkeit.

Die Auseinande­rsetzungen bewegten sich vor allem im Umfeld des von Götz Kubitschek geleiteten Antaios-Verlags. Zu Gewalttäti­gkeiten kam es dann am Stand der rechtsgeri­chteten Wochenzeit­ung „Junge Freiheit“. Ein Zuhörer war dort auf den Verleger des linken Trikont-Musikverla­gs zugegangen und soll ihn an der Lippe verletzt haben. Der Verleger ließ sich im Kranken- haus behandeln und Strafanzei­ge.

Es war eine bewusste Entscheidu­ng des Veranstalt­ers, im Sinne der Meinungsfr­eiheit auch rechtspopu­listische Verlage zuzulassen, wenn diese nicht gegen deutsches Recht verstoßen. Auch darüber wurde auf der Messe diskutiert. Die Sorge ist, dass nun ein „Kulturkamp­f von rechts“bevorstehe. Und Chris Dercon, der Intendant der Berliner Volksbühne, erklärte auf einem der Podien dazu: „Die Kultur ist überforder­t, wenn wir ihr die ganze Verantwort­lichkeit überlassen.“

Wegen all dieser Vorkommnis­se sah sich der Veranstalt­er genötigt, zum Abschluss zu erklären, dass die „Buchmesse von der Vielfalt der Meinungen lebt und ein Ort des freien Dialogs ist“. Gewalt als Mittel der Auseinande­rsetzung aber werde man „nicht zulassen“. Auch ist von „gezielten Provokatio­nen“die Rede. Das signalisie­rt Handlungsb­ereitschaf­t. So dürfte diese Buchmesse in der Kultur der Auseinande­rsetzung nicht ohne Folgen bleiben.

Schon die Feierstund­e in der ehrwürdige­n Paulskirch­e machte den erstattete Anfang mit der 77-jährigen Atwood, die sich für Politik, Frauenrech­te und Umwelt Zeit ihres Lebens einsetzte und die dennoch nicht als Aktivistin gelten möchte. Keck bezeichnet­e sie sich als eine der wenigen Menschen, die von Donald Trump zu profitiere­n scheinen. Denn seit er an der Macht ist, erleben ihre frühen Bücher eine Renaissanc­e – allen voran ihr Klassiker „Report der Magd“. Der Roman erzählt die Geschichte der Vereinigte­n Staaten, die nach einem Staatsstre­ich durch eine christlich-fundamenta­listische Gruppierun­g zur Diktatur werden. Frauen verlieren alle Rechte und dienen nur dazu, möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen. Der Roman erschien 1985.

Und heute? Es ist die Zeit, in der die Kaninchen die Ohren spitzen, weil ein Jäger die Bühne betreten hat, sagt Atwood. Jäger aus einer alten Gruft. „Diese Gruft hielt man bislang verschloss­en, doch irgendjema­nd besaß den Schlüssel und hat die verbotene Kammer geöffnet – was für ein Ungeheuer wird daraus geboren?“Diese Frage bleibt am Ende dieser Buchmesse.

 ?? FOTO: DPA ?? Demonstran­ten rangeln am Rande einer Lesung mit Thüringens AfD-Landes- und Fraktionsc­hef Bernd Höcke mit Ordnern.
FOTO: DPA Demonstran­ten rangeln am Rande einer Lesung mit Thüringens AfD-Landes- und Fraktionsc­hef Bernd Höcke mit Ordnern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany