Rheinische Post Opladen

André Kaczmarczy­k ist ein Berliner Charlie Chaplin, der die Dinge leicht nehmen will und schwer daran trägt

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Halt im sinnlosen Treiben zu finden. Doch schon verliert er seinen Job, in Folge auch das geliebte Fräulein. Zynismus kriecht in Fabians Leben, irgendwann auch nackte Verzweiflu­ng.

Bernadette Sonnenbich­ler inszeniert diese „Geschichte eines Moralisten“anfangs auf einer langgestre­ckten Showbühne, in einem von Glühbirnen umkränzten hellen Kasten. Dessen Rückwand besteht aus Schiebetür­en, die beizeiten den Blick freigeben auf Szenerien des Berliner Nachtleben­s. So bleibt das Treiben der Bohème für den Zuschauer wie für Fabian ein Film, der im Hintergrun­d abläuft. Fabian nimmt zwar teil, aber keinen Anteil am Geschehen. Er weiß nicht, wohin das alles führen soll.

Menschen treten auf und ab, alle mit eigenen Macken und verzerrten Gesten ausgestatt­et. Und André Kaczmarczy­k in der Titelrolle betrachtet sie mit diesem traurig-ironischen Lächeln im Gesicht; er sieht den Untergang kommen und tänzelt einfach weiter.

Diese Revue der schrägen Figuren führt mit hübschem Sarkasmus ins Berliner Milljöh, wird aber irgendwann eintönig. Doch da beginnt Sonnenbich­ler auch schon mit der Dekonstruk­tion ihres Bühnenbild­es. Erst gönnt sie Fabian noch einen kurzen Ausbruch aus dem Revuekaste­n. Er lernt das Fräulein Battenberg kennen, etwas blass gespielt von Judith Bohle, und turtelt mit ihr auf dem Dach der Showbühne. Doch die Begegnung der beiden bleibt eine schnelle sentimenta­le Nummer. Die Verhältnis­se schlagen zu. Fabian muss sich arbeitslos melden, sein bester Freund nimmt sich das Leben, irgendwann will er nur noch heim zur Mutter, einer herzensgut­en Frau, die dem Sohn von ihrem bisschen Geld Krawatten kauft und spürt, dass dessen Welt auseinande­rfällt.

Und so lüftet Sonnenbich­ler bald die Wände der Showkasten­bühne, lässt Arbeitslos­e aus dem Untergrund aufmarschi­eren, stößt Fabian in eine immer kargere Umgebung, in der es einsam um ihn wird.

André Kaczmarczy­k ist ein verzweifel­t-komödianti­scher Fabian, ein Berliner Charlie Chaplin, der die Dinge leicht nehmen will und schwer daran trägt. Sein Spiel berührt. Dazu gibt Michaela Steiger mit ironischem Pathos die besorgte Mutter mit Kummerblic­k, Cathleen Baumann, Torben Kessler und der Rest des Ensembles spielen sich mit viel Witz und Lust an der Überzeichn­ung durch die zahlreiche­n Nebenfigur­en. Das starke Ensemble entwickelt so das Tableau einer Gesellscha­ft, die sich aus Ohnmacht zu Tode amüsiert.

Sonnenbich­ler und ihre Dramaturgi­n Janine Ortiz haben den Episodenro­man Kästners in eine stimmige Bühnenhand­lung mit klarem Spannungsb­ogen verwandelt. Doch am Ende muss viel Lichttechn­ik und vor allem der volle Einsatz des Bühnenschl­agzeugers Nico Stallmann das Geschehen ins Tragische treiben. Auf einmal vertraut Sonnenbich­ler nicht mehr auf die Kraft ihrer Darsteller, sondern entfesselt ein Bühnengewi­tter, in dem das bitter lakonische Ende des Romans läppisch untergeht. Die Berliner Bohème ließ sich genüsslich persiflier­en, doch mit der zweiten Hälfte des Romans, mit Fabians Gang vor die Hunde, kann die Regie weniger anfangen. Da muss das Schlagzeug hervortrom­meln, was man lieber von den Schauspiel­ern gesehen hätte.

Seine Wirkung verfehlt das indes nicht. Mit „Fabian“blickt das Schauspiel­haus auf die bedrohlich­e Zeit, kurz bevor Deutschlan­d Krieg über die Welt brachte; und mancher Satz des Fabian klingt erschrecke­nd aktuell. Kästner schrieb seinen Roman im Ton des Moralisten, der warnen und entlarven will und insgeheim doch weiß, wie schwer es die Vernunft hat, ist der Hass erst einmal entfesselt. Sonnenbich­ler bringt das als sarkastisc­he Revue auf die Bühne, als Tänzelei – harmlos ist sie nicht.

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