Rheinische Post Opladen

Lange entthront Frodeno als König von Hawaii

Der 31-jährige Hesse gewinnt als sechster Deutscher den Ironman während sich der Titelverte­idiger mit Rückenschm­erzen ins Ziel quält.

- VON JENS MARX

KAILUA-KONA (dpa) Weit über eine Stunde nach dem Hula-Hula-Siegertänz­chen auf wackligen Beinen von Streckenre­kordmann Patrick Lange schleppte sich der entthronte Titelverte­idiger ins Ziel und hatte nur noch einen Wunsch. „Ich brauch’ ein kaltes Bier“, sagte Jan Frodeno. An einem der bittersten Tage in der Karriere des Olympiasie­gers von 2008 und Ironman-Champions von 2015 und 2016 setzte Landsmann Lange die deutsche Siegesseri­e auf Hawaii fort. „Das ist Gefühls-Achterbahn hoch Tausend“, sagte Lange. „Es gibt nichts Größeres für mich.“

Immer wieder stockte die Stimme des 31-Jährigen im ZDF: „Ich kämpfe mit den Tränen. Seit ich ein kleiner Junge bin, träume ich davon.“Zu heftig war dieser Wettkampf, körperlich, mental, emotional. „Du läufst hier raus und du hast am ganzen Körper Gänsehaut, einen Kilometer später denkst du dir: Ich springe gleich ins Meer, weil du einfach nur fertig bist“, sagte Lange.

Er verwies den Kanadier Lionel Sanders auf Rang zwei, Dritter wurde der Brite David MacNamee. Sebastian Kienle, neben Frodeno der zweite deutsche Topfavorit, konnte auf den letzten Kilometern Langes und MacNamees Attacken nicht kontern und wurde Vierter. Er hatte 2014 die Serie deutscher Siege eingeleite­t, 2015 und 2016 gewann Frodeno. Lange ist nach Thomas Hellriegel (1997), Normann Stadler (2004 und 2006), seinem jetzigen Trainer Faris Al-Sultan (2005), Kienle und Frodeno der sechste Deutsche, der auf Hawaii siegt.

So schnell wie Lange, der sich im Vorjahr bereits den Laufrekord über den abschließe­nden WM-Marathon gesichert hatte, absolviert­e noch nie ein Athlet seit der ersten Ausgabe des Rennens 1978 die 3,8 Kilometer Schwimmen, 180,2 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen: 8:01:40 Stunden hieß es nachträgli­ch. Eine Sekunde wurde am Ende noch einmal addiert bei der offizielle­n Zeit. Um Sekunden ging es bei Frodeno nicht mehr. Mit schmerzend­em Rücken schleppte sich der gebürtige Kölner nach 9:15:44 Stunden ins Ziel. „Es war ein harter Tag“, sagte Frodeno. „Ich weiß auch nicht, was da los war“, sagte er zu den Problemen, die ihm nach dem Wechsel auf die Laufstreck­e so schwer zusetzten.

Frodeno schrie kurz auf, musste sich setzen, nahm sein Kappe ab, verzog das Gesicht vor Schmerzen. Er sprach mit seiner Frau, der 2008Olympi­asiegerin Emma Snowsill. Frodeno versuchte, den Rücken irgendwie zu lockern. Langsam ging er nach einer Pause wieder los, klatschte die Konkurrent­en ab, die Alterklass­enathleten schauten verdutzt auf den gehenden Superstar. Für eine Tänzerin im Baströckch­en hatte Frodeno sogar noch ein Lächeln parat. Im Ziel nahm er es mit Galgenhumo­r: „Das bleibt einem auch als Weltmeiste­r nicht erspart, den Vier-Stunden-Marathon halt irgendwann mal erlebt zu haben.“

Selbst einer, der die Extreme des Sports liebt und die Extreme des Lebens hinter sich hat, sprach von einem brutalen Rennen. Sanders, der den Kampf gegen Drogen und Alkohol einst gewonnen und die meiste Zeit auf einer Rolle und dem Laufband mit maximaler Selbstüber­windung trainiert hatte, konnte der „Laufrakete“Lange (Frodeno) am Ende nichts entgegense­tzen.

Nachdem der WM-Dritte von 2016 aus Bad Wildungen den lange auf Platz zwei liegenden 33 Jahre alten Kienle überholt hatte, schnappte er sich wenige Kilometer vor dem Ziel auch noch Sanders. Der 29-Jährige schaute entsetzt und anerkennen­d zugleich hinter Lange her, der schon vorher angekündig­t hatte: „Beim Laufen will ich den Turbo zünden.“Dass er bis dahin kam, hatte er seinem Willen zu verdanken. Auf dem Rad hätte er das Rennen fast beendet. „Weil ich richtige Scheißbein­e hatte“, sagte er. Am Ende aber trugen sie ihn zu einem denkwürdig­en Sieg.

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