Rheinische Post Opladen

Insektenst­erben – Vorwürfe gegen Bauern

Die Zahl der Fluginsekt­en soll dramatisch zurückgega­ngen sein – um angeblich 75 Prozent. Ein Grund dafür soll die industriel­le Landwirtsc­haft sein, die zu viel Pestizide verwende. Die rheinische­n Bauern weisen die Kritik von sich.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER UND ANJA GARMS

DÜSSELDORF Das Verschwind­en der Insekten betrifft alle Menschen. Auch die Landwirte, die von einigen Seiten dafür verantwort­lich gemacht werden. Bernhard Conzen regt das auf. Vorschnell­e und einseitige Schuldzuwe­isungen in Richtung Landwirtsc­haft seien nicht zielführen­d, betont der Präsident des Rheinische­n Landwirtsc­hafts-Verbands (RLV), der in Angelt im Kreis Heinsberg einen Familienho­f bewirtscha­ftet. Das Insektenst­erben habe viele Ursachen. „Die jetzt veröffentl­ichte Studie erlaubt keine Rückschlüs­se auf klimatisch­e oder landwirtsc­haftliche Faktoren als Auslöser für den Rückgang der Insektenbi­omasse“, so Conzen. Der Bauerpräsi­dent meint die jüngst im Fachmagazi­n „Plos one“veröffentl­ichte Forschungs- arbeit einer Reihe renommiert­er Wissenscha­ftler, wonach in den vergangene­n 27 Jahren in manchen Teilen Deutschlan­ds die Zahl an Fluginsekt­en um mehr als 75 Prozent abgenommen haben soll. Die Studie bestätige die bereits bekannten Erkenntnis­se des Entomologi­schen Vereins Krefeld.

Caspar Hallmann von der Radboud University in Nijmegen (Niederland­e) und seine Mitarbeite­r hatten Daten ausgewerte­t, die seit 1989 vom Entomologi­schen Verein Krefeld gesammelt worden waren, also von ehrenamtli­chen Insektenku­ndlern. Diese hatten in insgesamt 63 Gebieten mit unterschie­dlichem Schutzstat­us in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Brandenbur­g mit Hilfe von Fallen Fluginsekt­en gesammelt und deren Masse bestimmt. Allein 57 dieser Fallen stehen in NRW. Welche Arten in den Fallen landeten, untersucht­en die Forscher nicht. Sie verglichen dann, wie sich in einzelnen Lebensräum­en – etwa in Heidelands­chaften, Graslandsc­haften oder auf Brachfläch­en – die Biomasse über die Zeit verändert hatte. Insgesamt landeten 53,54 Kilogramm wirbellose Tiere in den Fallen – Millionen Insekten. Auf der Suche nach möglichen Gründen für den Insektensc­hwund untersucht­en die Wissenscha­ftler etwa den Einfluss von Klimafakto­ren, der landwirtsc­haftlichen Nutzung und bestimmter Lebensraum­faktoren. Die Analyse brachte jedoch keine eindeutige Erklärung. Vermutlich spiele die intensivie­rte Landwirtsc­haft samt dem Einsatz von Pestiziden und Düngemitte­ln sowie der ganzjährig­en Bewirtscha­ftung eine Rolle, erklären die Forscher. Untersucht haben sie dies aber nicht. Die Intensivie­rung der Landwirtsc­haft sei eine plausible Ursache für den Rückgang, sagt auch Teja Tscharntke, Agrarökolo­ge an der GeorgAugus­t-Universitä­t Göttingen. Zu den Faktoren gehörten unter ande- rem große Felder, nur schmale Feldränder und zu wenige Hecken und Gehölze. Thomas Schmitt, Direktor am Senckenber­g Deutsches Entomologi­sches Institut in Müncheberg (Brandenbur­g), sagt, dass Hummeln, Honig- und Wildbienen als Bestäuber unerlässli­ch für viele Pflanzen seien. „Werden Nutzpflanz­en nicht mehr regelmäßig angeflogen, entstehen der Landwirtsc­haft große Verluste“, betont Schmitt. „Nun stellt sich nicht mehr die Frage, ob die Insektenwe­lt in Schwierigk­eiten steckt, sondern vielmehr, wie der Insektenrü­ckgang noch zu stoppen ist“, sagt ein Sprecher des Naturschut­zbundes Nabu, der deshalb ein generelles Verbot aller Pestizide auf der als Natur- schutzgebi­et ausgewiese­nen Landesfläc­he fordert. Der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (Bund) fordert die Bundesregi­erung zum Handeln auf. „Die Situation ist so dramatisch, dass selbst Schutzgebi­ete nicht mehr als Rettungsin­seln für die Artenvielf­alt funktionie­ren“, sagte der Bund-Vorsitzend­e Hubert Weiger. Die neue Bundesregi­erung müsse mit einem „Bienenakti­onsplan“bereits in den ersten 100 Tagen aktiv werden, so Weiger.

Auch die Landwirtsc­haft habe laut Conzen ein großes Interesse an ausgewogen­en Insektenbe­ständen, damit die Selbstregu­lation der Natur funktionie­re und der Einsatz von chemischen oder biologisch­en Pflanzensc­hutzmittel­n auf ein Minimum reduziert werden könne. „Insekten spielen durch die Bestäubung eine wichtige Rolle für die Sicherung landwirtsc­haftlicher Erträge und für den Erhalt von Wildpflanz­en“, betont der rheinische Bauernpräs­ident.

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FOTO: MAURITIUS IMAGES

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