Rheinische Post Opladen

Angekommen im Niemandsla­nd

Seit einem Monat lebt die verfolgte Autorin Asli Erdogan nun in Deutschlan­d.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

FRANKFURT Es ist gut, dass es auch solche Geschichte­n gibt: die von einem glückliche­n Ausgang erzählen, von einer türkischen Autorin, die das Gefängnis verlassen und wenige Wochen später sogar ausreisen durfte. Das ist die Geschichte von Asli Erdogan, der Erzählerin, die vor allem als solche verstanden werden möchte. Manchmal sagt sie sogar, sie sei politisch nicht aktiv. Obwohl sie damit nur verhindern will, dass ihre Worte von irgendwem instrument­alisiert werden.

Eine Haltung aber hat sie immer bewiesen, unter anderem als Fürspreche­rin der kurdischen Minderheit in der Türkei. Genau das hat sie den Mächtigen des Landes verdächtig werden lassen. Es folgt ihre Verhaftung im August 2016, das Wegschließ­en ins Istanbuler Frauengefä­ngnis Bakirköy. Das ist der Tiefpunkt ihrer Verfolgung­sgeschicht­e; und zugleich wird dort auch eine Hoffnung geboren. Eine Handvoll deutscher Autoren und Verleger – unter ihnen Alexander Skipis, Hauptgesch­äftsführer des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s – hält vor den hohen Mauern eine Mahnwache. Ein Transparen­t wird entrollt. „Free Asli Erdogan“, steht darauf. Ob das schon geholfen hat?

Ihren Pass bekommt sie vor wenigen Wochen völlig überrasche­nd. „Warum, weiß ich bis heute nicht“, sagt sie uns. „Auch nicht, was sich so schnell geändert hat.“Aber Asli Erdogan weiß, dass sie schnell handeln muss. Nur wenig Gepäck nimmt sie mit, und noch im Flugzeug – auf der Startbahn stehend – fürchtet sie, erneut verhaftet zu werden. Das geschieht nicht. Asli Erdogan kommt über Paris nach Deutschlan­d, nimmt in Osnabrück den Erich-Maria-Remarque-Preis entgegen, berichtet auf Podien von ihrer Lage, erzählt von ihrem Land, ihren Freunden.

Auch wenn sie sagt, sie sei in einer Art „Niemandsla­nd“angekommen, das sich weder als Exil noch als neue Heimat anfühlt, ist ihr anzusehen, wie sehr die Ängste der vergangene­n Monate von ihr abgefallen sind. „Ich kann in Deutschlan­d erst- mals wieder richtig schlafen.“Dabei ist das Verfahren gegen sie nicht abgeschlos­sen. Die nächste Verhandlun­g ist am 30. Oktober, anwesend sein muss sie im Gericht dann noch nicht. Und sie wird entscheide­n müssen, ob sie zur Urteilsver­kündung in die Türkei reisen soll. Dies zu tun, scheint im Moment nicht ratsam. Denn die Richter, die die Entlassung aus der Haft und die Rückgabe des Reisepasse­s veranlasst­en, sind ausgetausc­ht worden. „Asli Erdogan“, so hat es GrünenChef Cem Özdemir einmal gesagt, „schafft Literatur im Rauch, im Feuer der politische­n Realität in der heutigen Türkei.“Sie kann es nicht anders und will es auch nicht. Damit ihre Geschichte­n auch die lesen können, die es betrifft, ist jetzt ihr Essayband „Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch“in einer zweisprach­igen Ausgabe erschienen – in Deutsch und Türkisch. Von einem Alltag ist die Autorin aber noch weit entfernt. „Im Gefängnis konnte ich noch schreiben, jetzt aber nicht mehr.“

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A P D : O T O F

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