Rheinische Post Opladen

Freispruch für Zahnarzt-Stalker – aber er muss in die Psychiatri­e

- VON CLAUDIA HAUSER

LEVERKUSEN/KÖLN Mit verschränk­ten Armen und gesenktem Kopf sitzt der 33-jährige Angeklagte neben seinem Verteidige­r und hört sich an, was die Vorsitzend­e Richterin sagt: „Wir müssen davon ausgehen, dass Sie genau so weitermach­en wie bisher – es gibt kein Konzept für ein Leben außerhalb dieser einen Idee in Ihrem Kopf.“Diese eine Idee, das ist das Bedürfnis des Angeklagte­n, sei- ne ehemalige Zahnärztin zu sehen und mit ihr zu sprechen. Bis zu 20 Mal war der 33-Jährige bei der jungen Assistenzä­rztin in einer Gemeinscha­ftspraxis in Wiesdorf, dann wechselte sie in eine andere Praxis. Der 33-Jährige war aber nicht damit einverstan­den, dass einer ihrer Kollegen ihn weiterbeha­ndelt – und verstieg sich in die Idee, sie wiedersehe­n zu wollen. Er tyrannisie­rte die Praxismita­rbeiter fast eineinhalb Jahre lang. 80 Taten wa- ren angeklagt: Körperverl­etzung, Bedrohunge­n, Sachbeschä­digungen, allein 65 Fälle von Hausfriede­nsbruch (wir berichtete­n).

Der Prozess ging am Mittwoch vor dem Kölner Landgerich­t allerdings mit einem Freispruch zu Ende. Der Leverkusen­er hat eine wahnhafte Störung, ist schwer krank. „Die Häufigkeit der Taten ist Ausdruck seiner Qual“, sagte der psychiatri­sche Gutachter. Der Mann kann deshalb nicht bestraft werden, die Vorsitzend­e ordnete die Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s an. Da das Leben in der Forensik kein „Wellnessau­fenthalt“wird, wie sie sagt, und lange dauern kann, habe sich die Kammer die Entscheidu­ng gründlich überlegt. Zumal der 33-Jährige, der 2001 mit seinen Eltern aus Kasachstan nach Deutschlan­d kam, aber nie richtig Fuß fassen konnte, bisher ein straffreie­s Leben geführt hat. Sein Verteidige­r Ingo Lindemann hatte im Plädoyer angemerkt, dass die Unterbring­ung in der Forensik die „massivste Freiheitse­inschränku­ng ist, die das Strafrecht zu bieten hat“. Es könne passieren, dass sein Mandant zehn Jahre oder länger hinter Stacheldra­ht sitze – für Taten, die jede für sich, „keine erhebliche­n Schäden“angerichte­t hätten.

Doch die Vorsitzend­e machte in der Urteilsbeg­ründung deutlich, was die tägliche Belagerung der Praxis bei den Ärzten und Mitarbeite­rn ausgelöst hat. Es ging bei allen bis zur Existenzan­gst, dass der Angeklagte bis zu 67 Mal pro Woche in der Praxis anrief, Böller hineinwarf und einer Mitarbeite­rin ins Gesicht spuckte, Reifen zu zerstechen versuchte, damit drohte, das Haus in die Luft zu jagen. Er beschmiert­e die Briefkäste­n, stand ständig im Hof – obwohl er sich dem Gebäude längst nicht mehr nähern durfte, weil die Praxisleit­ung eine einstweili­ge Verfügung erwirkt hatte.

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