Rheinische Post Opladen

Freunde am Menschenfr­esserberg

30.000 Soldaten starben im Ersten Weltkrieg am Hartmannsw­eilerkopf. Seit gestern gibt es dort eine deutsch-französisc­he Gedenkstät­te.

- VON CHRISTINE LONGIN

WATTWILLER Es war Geschichte zum Anfassen, die Emmanuel Macron und Frank-Walter Steinmeier gestern erlebten. Bei Regen und Kälte gingen die beiden Präsidente­n durch die Schützengr­äben des Ersten Weltkriegs, in denen sich vor 100 Jahren Soldaten ihrer beiden Länder auf dem elsässisch­en Hartmannsw­eilerkopf gegenüberg­estanden hatten. Die Lehren, die die beiden Staatschef­s aus ihrem Blick in die Vergangenh­eit zogen, fasste Steinmeier mit den Worten zusammen: „Die Europäisch­e Union ist die wohl beste Idee, die wir je auf diesem Kontinent hatten.“

In seiner Rede zur Eröffnung der ersten deutsch-französisc­hen Erinnerung­sstätte unterstütz­te der Bundespräs­ident überrasche­nd deutlich Macrons Europa-Initiative. „Ich möchte Ihnen versichern: D’accord – ich stehe, wie die große Mehrheit meiner Landsleute, an Ihrer Seite. Ihr Schwung aus Frankreich, den spüren wir in Berlin. Und ich bin sicher: Wir werden ihn mit Elan aufnehmen“, versichert­e Steinmeier. In einer Rede an der Pariser Universitä­t Sorbonne hatte Macron nur zwei Tage nach der Bundestags­wahl ein ganzes Feuerwerk an Reformidee­n für Europa abgefeuert. Mit Verweis auf die Koalitions­verhandlun­gen schob die Bundesregi­erung ihre Antwort allerdings hinaus.

„Die Partner der Koalition, die dabei ist, sich zu bilden, haben alle während des Wahlkampfe­s die treibende Kraft des deutsch-französisc­hen Paares für ein neues europäisch­es Projekt unterstric­hen“, beschwor Macron nach einem Treffen mit Steinmeier am Morgen im Elysée die Verhandler der Jamaika-Koalition. „Unsere Herausford­ung besteht darin, eine neue Etappe zu be- ginnen“, warb der Präsident für seine Initiative: „Wir schulden das unserer Jugend.“

Mit Jugendlich­en beider Länder sprachen die Staatschef­s dann während des Besuchs des Militärfri­edhofs, auf dem mehr als 1200 französisc­he Opfer der Kämpfe am Hartmannsw­eilerkopf ruhen. Insgesamt starben auf dem nur 956 Meter hohen Gipfel in einem anderthalb Jahre dauernden Stellungsk­rieg rund 30.000 Menschen. „Menschenfr­esserberg“wurde der Hartmannsw­eilerkopf deshalb auch genannt.

„Wir wissen, dass es nicht der Berg war, der Menschenop­fer forderte. Es war der Irrglaube an die Überlegenh­eit der eigenen Nation über andere Nationen“, sagte Steinmeier. „Nicht dieser Berg ist ein Menschenfr­esser – der Nationalis­mus ist ein Menschenfr­esser.“Das deutsch-französisc­he Gedenkzent­rum, das Steinmeier und Macron eröffneten, ist das erste seiner Art. Jahrzehnte­lang war der Berg in den Südvogesen ein Ort rein französisc­hen Gedenkens gewesen. Schon 1921 wurde der von Schützengr­äben durchzogen­e Gipfel unter Denkmalsch­utz gestellt. 1932 weihte Präsident Albert Lebrun eine monumental­e Gedenkstät­te mit einem vergoldete­n „Altar des Vaterlands“ein. „Lange hat Frankreich in dieser Region ein nationales Gedenken gepflegt. Das hat dazu geführt, Irrtümer zu wiederhole­n und Spannungen zu verstärken“, sagte Macron. „Heute bauen wir an einer gemeinsame­n Geschichte, denn sie ist der Grundstein einer gemeinsame­n Zukunft.“

Die Erinnerung­skultur am Hartmannsw­eilerkopf hatte sich erst zum 100. Jahrestag des Kriegsbegi­nns 2014 gewandelt. Damals wurden Tafeln angebracht, die an die deutschen Opfer erinnern, und erstmals wurde auch die deutsche Flag- ge aufgezogen. Bundespräs­ident Joachim Gauck und François Hollande legten den Grundstein für das „Historial“, das ihre Nachfolger nun eröffneten. Die Umarmung der beiden Präsidente­n in der Krypta damals reihte sich ein in die symbolisch­en Gesten der Versöhnung, für die vor allem der Handschlag Helmut Kohls und François Mitterrand­s 1984 über den Gräbern von Verdun steht. Mit ihrem gemeinsame­n Gang durch die Schützengr­äben fügten Macron und Steinmeier nun eine weitere deutsch-französisc­he Geste hinzu.

Der Bau des „Historial“kostete etwa 4,7 Millionen Euro. Die gemeinsame Gedenkstät­te wurde unter Leitung des französisc­hen Geschichts­professors Nicolas Offenstadt und seines deutschen Kollegen Gerd Krumeich aus Düsseldorf von einem binational­en Wissenscha­ftsrat entworfen.

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FOTO: DPA Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier gestern am „Altar des Vaterlands“auf dem Hartmannsw­eilerkopf.

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