Rheinische Post Opladen

Fiskus soll Energiewen­de finanziere­n

Eine ungewöhnli­che Allianz aus Wirtschaft­sverbänden, Verbrauche­rschützern und Gewerkscha­ftsbund fordert eine Reform der Ökostromum­lage. Anstatt Stromkunde­n immer weiter zu belasten, sollen nun die Steuerzahl­er aufkommen.

- VON ANTJE HÖNING

BERLIN Energiepol­itik ist einer der Hauptstrei­tpunkte bei den JamaikaVer­handlungen. Kein Wunder, hier geht es neben ideologisc­hen Fragen auch um viel Geld. Geld, das bislang die Stromkunde­n, Verbrauche­r wie Unternehme­n, bezahlen – 25 Milliarden Euro pro Jahr. Nun hat sich eine ungewöhnli­che Allianz von elf Verbänden zusammenge­funden, die einen Neustart der Finanzieru­ng fordern. Zu ihnen gehören der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag, der Verband der chemischen Industrie und der Handelsver­band Deutschlan­d ebenso wie der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen, der Deutsche Gewerkscha­ftsbund und der Deutsche Mieterbund. „Wir halten es für richtig und dringend notwendig, zumindest Teile der Kosten für die Energiewen­de aus dem Bundeshaus­halt zu bestreiten“, heißt es in dem Appell, den die Verbände soeben an die Chefs der Jamaika-Parteien gesendet haben und der unserer Redaktion vorliegt.

Ausdrückli­ch begrüßen sie die Energiewen­de: „Die Unterzeich­ner bekennen sich zum Klimaschut­z, zum Ausbau erneuerbar­er Energien und zur Verbesseru­ng der Energieeff­izienz.“Jedoch halten sie die Finanzieru­ng der Energiewen­de für unsozial und Standort-gefährdend. „Die steigenden Stromkoste­n werden bei Privathaus­halten mit geringem Einkommen immer mehr zu ei- ner sozialen Frage. Und Unternehme­n, die vielfach nicht entlastet sind, drohen durch immer höhere Kosten und regulatori­sche Unsicherhe­it an Wettbewerb­sfähigkeit zu verlieren“, heißt es im Appell.

Der Ausbau des Ökostroms wird mit der EEG-Umlage finanziert, die auf den Strompreis aufgeschla­gen wird. Fiel sie anfangs noch bescheiden aus, ist sie zuletzt auf 6,88 Cent je Kilowattst­unde gestiegen. Damit macht sie ein Fünftel des Strompreis­es aus. Sie funktionie­rt so: Wer eine Solaranlag­e oder ein Windrad betreibt, speist den Strom ins Netz ein und erhält dafür eine im Erneuerbar­e-Energien-Gesetz (EEG) festgelegt­e Vergütung. Da die Börsenprei­se, zu dem der grüne Strom weiter verkauft wird, weit unter der festen Vergütung liegt, muss die Umlage die Lücke füllen.

Alle privaten Haushalte müssen sie zahlen – auch einkommens­schwache und Hartz-Bezieher. „Die steigenden Stromkoste­n werden bei Privathaus­halten mit geringem Einkommen immer mehr zu einer sozialen Frage“, heißt es im Appell. „Die privaten Haushalte verbrauche­n 25 Prozent des Stroms, müssen aber 36 Prozent der EEG-Umlage stemmen“, kritisiert Klaus Müller, Chef der Verbrauche­rzentralen.

Ebenso müssen die meisten Firmen zahlen, nur wenige (energieint­ensive) sind ganz oder teilweise befreit. „Unternehme­n drohen durch immer höhere Kosten und regulatori­sche Unsicherhe­it an Wettbe- werbsfähig­keit zu verlieren“, heißt es im Appell. Von den 1700 Chemiebetr­ieben etwa zahlen die meisten die Umlage, knapp 100 sind weitgehend befreit. „Es wird kein Chemiewerk wegen der Energiepre­ise schließen, aber es wird auch kein neues gebaut werden“, sagt Utz Tillmann, Hauptgesch­äftsführer des Chemieverb­ands und Mitunterze­ichner. „Die deutschen Energiekos­ten sind ein Standortna­chteil. Das sieht man auch daran, dass seit 2012 die Auslandsin­vestitione­n der Chemie höher sind als die Inlandsinv­estitionen.“

Den Unterzeich­nern sei klar, dass man die 25 Milliarden nicht einfach dem Bundeshaus­halt aufladen kann, so Tillmann. „Es ist aber dringend notwendig, die Stromkunde­n wenigstens teilweise zu entlasten.“Hierzu gibt es verschiede­ne Wege und Ideen der Unterzeich­ner. „Die Chemieindu­strie regt an, dass künftige Kosten der Energiewen­de vom Bundeshaus­halt übernommen werden“, so Tillmann. Das begrüßen auch Verbrauche­rzentralen und Handel, obgleich sie sich alternativ eine Senkung der Stromsteue­r oder Belastung des Eigenverbr­auch der Industrie (was der Chemie nicht gefallen würde) vorstellen können.

Gemeinsam verfolgen die Unterzeich­ner ohnehin ein Ziel: eine Finanzrefo­rm bei der neuen Regierung durchzuset­zen. „Ideen dazu liegen auf dem Tisch, die Debatte um die besten Vorschläge sollte jetzt geführt werden“, heißt es im Appell.

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