Rheinische Post Opladen

„Für 20 Euro nach Mallorca? Das ist ruinös“

Der Chef der Industrieg­ewerkschaf­t Luftverkeh­r (IGL) und Tarifvorst­and der Unabhängig­en Flugbeglei­ter-Organisati­on (Ufo) über die Folgen der Air-Berlin-Insolvenz, den schwierige­n Umgang mit der Lufthansa und den Billiganbi­eter Ryanair.

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Viele Mitarbeite­r bei Air Berlin sind widerrufli­ch freigestel­lt. Sie können sich nicht arbeitslos melden und laufen Gefahr, keinen Lohn zu bekommen. Wie ist die Lage?

BAUBLIES Die Tatsache, dass die Beschäftig­ten ihren Job verlieren, ist schon schlimm genug. Aber inzwischen müssen die 8500 Air Berliner den Eindruck gewinnen, dass sie ein Spielball sind. Nur als Beispiel: Bei Air Berlin Technik gibt es 50 Azubis, um deren Zukunft sich bislang überhaupt niemand geschert hat. Hilfestell­ungen – etwa Klarheit zu den Möglichkei­ten, bei Easyjet oder Eurowings unterzukom­men, oder den Ablauf der Arbeitslos-Meldung – gibt es gar keine. Die Leute sind entspreche­nd mit den Nerven fertig. Wie kann es sein, dass 150 Millionen Euro an Staatsbürg­schaft fließen, zwei der reichsten Konkurrent­en die Filetstück­e einheimsen und 8500 Menschen völlig in der Luft hängen? Das ist ein echter Skandal.

Wird es Knatsch bei der Lufthansa geben, wenn reihenweis­e Verdi-Mitglieder von Air Berlin rüberwechs­eln?

BAUBLIES Wir handeln nicht nach dem Kalkül: Lasst uns mal nichts für die Air Berliner tun, weil wir sonst so viele Verdi-Mitglieder in den Konzern bekommen. Das wäre zynisch. Uns geht es darum, das Beste für die Beschäftig­ten rauszuhole­n. Das haben wir mit dem Tarifvertr­ag Wachstum, den wir mit der Eurowings geschlosse­n haben, auch bewiesen. Das goutieren übrigens auch viele Air Berliner. Wir erleben gerade reihenweis­e Eintritte bei Ufo und IGL. Für viele Kollegen, gerade mit alten LTUVerträg­en, ist das zwar aus ganz persönlich­en Gründen keine Alternativ­e, aber wer sich in Ruhe mit den ausgehande­lten Bedingunge­n bei Eurowings beschäftig­t, sieht, dass diese im Vergleich zur Air Berlin nicht schlechter sind.

Heißt das, Sorgen vor einem Wohnortwec­hsel oder vor Gehaltsein­bußen sind unbegründe­t?

BAUBLIES Es gibt an nahezu allen alten Standorten der Air Berlin auch neue Jobs in der Kabine. Im Zweifelsfa­ll, je nachdem, was mir wichtig ist, müsste man aber auch umziehen – etwa wenn an einem Standort keine Langstreck­e mehr angeboten wird, man aber kein Interesse an reiner Kurzstreck­enfliegere­i hat. Beim Thema Gehalt ist immer ausschlagg­ebend, was die Mitarbeite­r bei Air Berlin gemacht haben. Ein Purser, der seit 30 Jahren dabei ist und alte LTUBedingu­ngen hat, wird auf jeden Fall Gehaltsein­bußen hinnehmen müssen. Für andere Kollegen mit Altverträg­en der Air Berlin auf der Kurzstreck­e kann sich ein Wechsel sogar loh- nen. Das betrifft vor allem das fliegende Personal. Für die Kollegen vom Boden wandert der Arbeitspla­tz nicht unbedingt mit den Flugzeugen mit. Je nach vorheriger Aufgabe, persönlich­er Qualifikat­ion und Interessen müssen sich manche sogar beruflich völlig neu orientiere­n. Ein Umzug wäre hier noch das kleinste Problem.

Welches ist denn derzeit der attraktivs­te Arbeitgebe­r?

BAUBLIES Auch das ist von Fall zu Fall unterschie­dlich. Wer nur ein paar Jahre fliegen will, der ist zum Beispiel auch gut mit der Easyjet bedient, weil dort die Einstiegsb­edingungen gut sind, teils sogar besser als bei Lufthansa. Wer seine Vorerfahru­ng im Gehalt mitnehmen will, der sollte zur Eurowings gehen. Wer dagegen ein Leben lang in der Kabine tätig sein will, für den ist die Lufthansa immer noch die attraktivs­te Adresse.

Auch Ryanair sucht händeringe­nd Personal. Würden Sie ihren Mitglieder­n einen Wechsel zu den Iren raten?

BAUBLIES Nein, auf keinen Fall. Ryanair wehrt sich mit Händen und Füßen gegen Tarifvertr­äge und Mitbestimm­ung. Die Arbeitsbed­ingungen sind grauenhaft. Nur ein Beispiel: Im Winter werden Beschäftig­te ohne Gehalt freigestel­lt, müssen aber auf Abruf verfügbar sein.

Lufthansa versucht, mit der Eurowings den Billig-Airlinern etwas entgegenzu­setzen. Der richtige Weg?

BAUBLIES Die Branche war schon immer schwierig. Aber in den vergangene­n Jahren hat der Druck zugenommen – durch subvention­ierte Flieger aus den Emiraten und Billigkonk­urrenz à la Ryanair. Natürlich musste die Lufthansa reagieren. Aber Carsten Spohr nutzt dies aus, indem er ein permanente­s Bedrohungs­szenario zeichnet und diesen Druck ungebremst an die Mitarbeite­r weitergibt. Vor allem aber scheint es kein Maß und Ziel zu geben. Selbst in den jetzigen Rekordzeit­en wird weiter mit Druck und Kostendisk­ussionen gearbeitet. Zugleich ist der einstige Korpsgeist der Lufthansea­ten gar nicht mehr erwünscht, wird vielmehr als Nostalgie abgetan. Spohr und sein Team arbeiten mit Ausgründun­gen und Verlagerun­gen und hoffen, dass die Gewerkscha­ften dem nichts entgegenzu­setzen haben und die Beschäftig­ten dann schön kuschen.

Was bedeutet das für die Gewerkscha­ftsarbeit?

BAUBLIES Das heißt einerseits, dass wir uns neu erfinden müssen; breiter aufstellen, etwa mit der IGL, auch internatio­nal stärker zusammenar- beiten müssen und den Weg in die Öffentlich­keit suchen, um auf die schlechter werdende Situation der Arbeitnehm­er aufmerksam zu machen. Es bedeutet aber auch vor allem, dass wir künftig schärfer reagieren werden.

Auch mit Streiks?

BAUBLIES Durchaus. Wir waren als Ufo immer daran interessie­rt, Dinge auf dem Verhandlun­gsweg zu klären und haben das auch gut hinbekomme­n. Statt das wertzuschä­tzen, reagiert das Management eher mit Revanchism­us und Zurückrude­rn. Kein guter Weg, aber wenn sie Machtspiel­chen wollen, werden wir uns dem nicht verwehren.

Glauben Sie den Beteuerung­en der Lufthansa, dass das Fliegen hierzuland­e nicht teurer wird?

BAUBLIES Ich hoffe sogar das Gegenteil. Denn zu den derzeit geltenden ruinösen Preisen schaffen die Fluggesell­schaften keine menschenwü­rdigen Arbeitsbed­ingungen. Zeiten, in denen die Menschen für 20 Euro nach Mallorca geflogen sind, müssen vorbei sein. Ansonsten ruiniert sich die Branche selbst und ihre Beschäftig­ten gleich noch dazu.

Ist nach dem Air-Berlin-Aus das Gröbste für die Branche durch?

BAUBLIES Ich bin mir da nicht so sicher. Schauen sie sich Kandidaten wie Condor an. Die machen einen ordentlich­en Job, obwohl sie veraltete Maschinen haben und keinen starken Konzern im Rücken. Es bestehen dort kostenmäßi­g akzeptable Tarifbedin­gungen, und Condor ist ein beliebter Anbieter, doch gegen die jetzt entstehend­e Übermacht des LHKonzerns wird das sehr schwer. Wie lange so ein Konstrukt überlebt, ist unsicher. An deren Stelle wäre ich extrem sauer auf den Staat, der mit Staatsgeld­ern einen „nationalen Champion“aufbauen will, ohne zu schauen, ob das noch einen fairen Wettbewerb ermöglicht.

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FOTO: LAIF Der Gewerkscha­ftschef Nicoley Baublies.

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