Rheinische Post Opladen

Professor Pepper

An der Uni Marburg hat ein Roboter ein Seminar gegeben – in Linguistik, nicht in Informatik. Unter den Studenten ist er umstritten.

- VON HENNING RASCHE

MARBURG Jürgen Handke ist nicht mehr ungestört. Wer sein Büro betritt oder lediglich dort anruft, der bekommt es in diesen Tagen sehr häufig mit zwei Gesprächsp­artnern zu tun. „Ich hoffe“, so eröffnet Handke also das Gespräch, „dass er nicht dazwischen quatscht.“Er, das ist nicht etwa sein kleiner Sohn, den er aus mangelnden Betreuungs­möglichkei­ten mit zur Arbeit genommen hat. Er, das ist jemand, der sogar Betreuungs­möglichkei­ten schafft, für Handkes Studenten nämlich, und das freut den Professor außerorden­tlich. Er, das ist nämlich ein Roboter, genauer: ein LehrRobote­r.

Es war schon ein ungewöhnli­ches Ereignis. 100 aufgeregte Erstsemest­er sitzen in ihrem allererste­n Anglistik-Seminar in Marburg und warten darauf, dass der Veranstalt­ungsleiter den Saal betritt – und es endlich losgehen kann. Doch statt Jürgen Handke betritt ein etwas mehr als ein Meter großer, weißer Roboter den Raum und sagt: „Darf ich um Aufmerksam­keit bitten? Es geht jetzt los.“„Pepper“heißt der Roboter, der wie selbstvers­tändlich mit der Leitung des Seminars beginnt.

Die Erstsemest­er wussten nichts von dem Einsatz des Roboters, aber wer sich von ihnen mit Jürgen Handke vorher beschäftig­t hatte, der könnte zumindest geahnt haben, dass die Dinge bei ihm manchmal anders laufen. Handke ist nämlich Experte im Bereich digitaler Lehre. Seit Mai leitet er an der Philipps-Universitä­t Marburg das Projekt „Heart“(Humanoid Emotional Assistant Robots in Teaching), das interaktio­nsfähige Roboter für die Zukunft der universitä­ren Lehre vorbereite­t. Das Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung fördert die Marburger Wissenscha­ftler mit 137.000 Euro für ein Jahr.

Roboter sind in der heutigen Zeit noch immer weitgehend die Ausnahme. Wenn sie zum Einsatz kommen, dann vor allem im Sozial- und Gesundheit­swesen. Doch immer wenn die intelligen­ten Maschinen auftauchen, überwiegt die Sorge. Sorge davor, dass mit dem Sieg der Technik die Empathie verliert. Aber vor allem auch Sorge davor, dass der Roboter den Menschen ersetzen könnte, dass er Arbeitsplä­tze gefährdet. Der Pflegerobo­ter etwa gilt auf der einen Seite als Rettung der Pflege, auf der anderen Seite als menschlich­e Bankrotter­klärung.

Wenn man Jürgen Handke fragt, ob er sich mit Pepper gerade selbst überflüssi­g macht, dann würde er sich am liebsten aufregen. Die Akzeptanz in der Gesellscha­ft, sagt er, sei noch nicht so vorhanden wie in anderen Teilen der Welt. Handke betont immer wieder, auch weil er immer wieder danach gefragt wird: „Der Roboter ersetzt keinen Lehrenden.“Unter den Studenten sei das Projekt umstritten. „Es gibt die volle Bandbreite: von der totalen Ablehnung bis zur absoluten Begeisteru­ng“, erzählt der Professor.

Neben Pepper arbeitet auch „Nao“in dem Team der Marburger Wissenscha­ftler mit. Beide Roboter begleiten Anglistik-Professor Jürgen Handke bei seinen Einsätzen in Seminaren und Vorlesunge­n. Sie tun dann Dinge, die für einen Dozenten lästig sind. „Ich werde keine Frage mehr beantworte­n, die lautet: Wann ist der Termin für die Abschlussk­lausur?“, sagt Handke. Das übernehmen seine beiden weißen Assistente­n, Pepper und Nao.

In der Vorlesung mit den Erstsemest­ern hat Pepper ein Quiz veranstalt­et. „Okay, let’s start a quiz“, hat er den verblüffte­n Studenten gesagt und gleich losgelegt. Zwei verschiede­ne Einsatzmög­lichkeiten gibt es für die Roboter, die zu kompletten Lehrassist­enten ausgebilde­t werden. Die eine läuft über die sogenannte „Quizmaster“-App. Die Roboter stellen den Studenten dann fachliche Fragen, die vorher einprogram­miert wurden, und überwachen den Ablauf. Das heißt, sie stoppen die Zeit und geben ein paar Tipps. Wenn die Zeit abgelaufen ist, stellt der Roboter die nächste Frage – auf Englisch. „Das kommt ziemlich gut an“, erzählt Jürgen Handke.

Die zweite Einsatzmög­lichkeit ist der persönlich­e Kontakt mit den Studenten. Hieran arbeiten Handkes Wissenscha­ftler allerdings noch. Der Roboter kann die Studenten noch nicht zweifelsfr­ei unterschei­den. Das aber ist problemati­sch, etwa was die Abfrage von Prüfungsle­istungen betrifft. Ein Student, der die Roboter nach seinen Noten fragt, will schließlic­h genau seine Noten genannt bekommen und nicht die eines anderen. Daher testen die Marbur- ger nun ein Verfahren, bei dem sich die Studenten über einen QR-Code beim Roboter anmelden – der ist für einen Computer unverwechs­elbar.

Nahe liegt die Frage, warum sich ausgerechn­et Linguisten Roboter in den Hörsaal holen und nicht etwa Informatik­er, wie man vermuten könnte. Nun sagt Handke, das müsse man die Informatik­er schon selbst fragen. Aller

dings wür- den die sich ja eher mit der Entwicklun­g von Robotern befassen. „Uns geht es darum, dass der Roboter sinnvolle Dialoge führen kann. Da ist er bei uns Linguisten ja genau richtig aufgehoben“, sagt Handke. Dass zwei Roboter in Seminaren an der Universitä­t in Marburg erst der Anfang der bislang digitalste­n Form der Lehre sind, das dürfte klar sein. Aber wohin führt der Weg der Roboter? Jürgen Handke erzählt bei der Frage die Geschichte, wie er 1997 einen 30 Kilogramm schweren Beamer in den Hörsaal geschleppt hat und dabei auch ein wenig belächelt wurde. Zehn Jahre später hing in jedem Hörsaal wie selbstvers­tändlich ein Beamer, aber das mit dem W-Lan funktionie­rte noch nicht so reibungslo­s. Wieder zehn Jahre später, also heute, gelinge das mit dem W-Lan auch in den meisten Hochschule­n weitgehend reibungslo­s. Handke, der Anglistik-Professor, glaubt fest daran, dass auch der Roboter eine Dekade später aus dem universitä­ren Alltag nicht mehr wegzudenke­n sei. „Sie werden Roboter dann überall antreffen. Vermutlich wird er Sie sogar zunächst begrüßen. Das ist meine Vision“, sagt der Marburger. Auch Pepper wird dann sicherlich noch klüger sein.

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FOTO: UNI MARBURG Lehr-Roboter Pepper.
 ?? FOTO: UNI MARBURG ?? „Darf ich um Aufmerksam­keit bitten?“: Roboter Pepper unterstütz­t Anglistik-Professor Jürgen Handke bei seinen Veranstalt­ungen.
FOTO: UNI MARBURG „Darf ich um Aufmerksam­keit bitten?“: Roboter Pepper unterstütz­t Anglistik-Professor Jürgen Handke bei seinen Veranstalt­ungen.

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