Rheinische Post Opladen

Tennis und Fußball – viele kleine Ich-AGs

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Der Tennisspie­ler Alexander „Sascha“Zverev hat neulich erklärt, er stehe wahrschein­lich für die nächste DavisCup-Runde zur Verfügung. Da haben wir uns natürlich sehr gefreut. Bislang passten ihm die Auftritte bei den Länderkämp­fen eher selten in den persönlich­en Lebensplan. Deshalb sagte er in aller Regel ab.

Es soll zwar einen oder zwei Menschen geben, die sich laut darüber gewundert haben. So richtig bemerkensw­ert fanden es die meisten nicht, vor allem jene nicht, die zum großen Tenniszirk­us gehören.

Dort geht es um die Wahrung der Einzelinte­ressen. Ein Team dient nur der Fortschrei­bung einer persönlich­en Erfolgsges­chichte. Auch deshalb wählen Tennisspie­ler ihre Teamchefs selbst.

Was unterschei­det Tennisspie­ler von Fußballern? Nicht viel, beide sind Geschäftsl­eute in eigener Sache.

Davon würden die Fußballer nicht einmal verschämt träumen, obwohl auch sie in einer glitzernde­n Welt der Eigenverma­rktung unterwegs sind. Aber nicht einmal Cristiano Ronaldo, der sich vermutlich fünf Stunden am Tag vor dem Spiegel seine Einzigarti­gkeit bestätigt, käme auf den Gedanken, vor der WM seinen Nationaltr­ainer anzurufen und seine Teilnahme abzusagen, weil in zwei Tagen ein wichtiger Sponsorent­ermin ansteht.

Ein deutsches Beispiel: Mats Hummels, der ebenfalls nicht dafür bekannt ist, sein Licht am liebsten unter den Scheffel zu stellen, geht in diesen Tagen nicht zu Jogi Löw und sagt: „Trainer, in ein paar Wochen spielen wir in Mönchengla­dbach und kurz vor Weihnachte­n wieder gegen Dortmund. Meine großen Ze- hen tun mir weh, und außerdem habe ich übermorgen eine Autogramms­tunde bei Karstadt. Mein Berater sagt, dass meine Lebensplan­ung einen Nationalma­nnschaftsE­insatz zurzeit nicht vorsieht. Ich melde mich aber gern, wenn ich mal wieder Lust habe.“

Die Boulevard-Presse würde Hummels mit Schlagzeil­en als vaterlands­losen Verräter durch die Republik jagen. Und Löw fände es sicher „wahnsinnig schade“, künftig auf „de Mats“verzichten zu müssen. Im Fußball kommen Jungs wie Zverev also einfach nicht vor.

Dass sie im Tennis die Regel sind, liegt nicht nur an der Sportart, in der Egoismen gepflegt werden (müssen). Es liegt auch am stetig sinkenden Wert von Veranstalt­ungen wie dem Davis Cup. Der Teamwettbe- werb war mal eine richtige Weltmeiste­rschaft mit reichlich Glanz und Gloria. Neuerdings wird er aber nicht einmal mehr in den öffentlich­rechtliche­n Sendern übertragen. Und wie soll da der Werbewert einer Ich-AG Zverev ausreichen­d gesteigert werden?

Im Fußball ist das anders. Länderspie­le halten den Scheinwerf­er auf die vielen kleinen Ich-AGs auf dem Feld. Und sie tragen dazu bei, den Wert zu mehren, weil Millionen Kunden zuschauen. Deshalb sind Tennisspie­ler keine vaterlands­losen Gesellen und Fußballer keine besonders moralische­n Sportler. Beide sind Geschäftsl­eute in eigener Sache. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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