Rheinische Post Opladen

Rios Olympia-Viertel: Schöne Fassade und nichts dahinter

Ein herunterge­kommenes Hafenviert­el wurde zu den Spielen saniert. An den Bau von Wohnungen hatte aber niemand gedacht.

- VON EINHARD SCHMIDT-KALLERT

RIO DE JANEIRO Es ist nur ein zehnminüti­ger Spaziergan­g aus dem Gewühl des Stadtzentr­ums der 6,5 Millionen-Metropole Rio mit ihren Hochhaussc­hluchten, Bank- und Bürogebäud­en, den Menschentr­auben an den U-Bahn-Eingängen und den Straßenhän­dlern auf den Bürgerstei­gen bis zum alten Hafen und dem Ufer der Guanabara-Bucht. Dort überrascht eine großzügige Platzanlag­e, links begrenzt vom Kunstmuseu­m, geradeaus liegt auf einer künstliche­n Mole das in futuristis­cher Architektu­r gestaltete „Museum der Zukunft“. Eine nagelneue Straßenbah­n durchquert den Platz. Vorweg fährt hupend ein Motorradfa­hrer – eine Sicherheit­smaßnahme, denn noch sind die Bewohner der Megastadt nicht an die leise dahinrolle­nde Bahn gewöhnt.

So sah dieser Platz nicht immer aus. Noch vor fünf Jahren verstellte eine Bausünde aus den 60er Jahren den Blick aufs Wasser: eine Stadtau- tobahn auf Tausenden von Betonpfeil­ern. Rechtzeiti­g vor den Olympische­n Spielen wurde die Autobahn in einen Tunnel verlegt und die Straßenbah­n eröffnet.

Als Rio de Janeiro 2009 den Zuschlag für die Ausrichtun­g der Spiele bekam, da versprach der Bürgermeis­ter, das Ereignis für einen umfassende­n Stadtumbau zu nutzen. Die Stadtverwa­ltung von Rio ließ sich dazu von Experten aus Barcelona beraten. Und wie 20 Jahre vorher in der katalanisc­hen Metropole wurde die Wiederbele­bung des herunterge­kommenen Hafenviert­els zum Vorzeigepr­ojekt für die Neuerfindu­ng der Stadt.

Der Hafen war lange das wirtschaft­liche Zentrum Rios. Zwei Jahrhunder­te lag hier der weltweit größte Umschlagpl­atz für Sklaven. Ende des 20. Jahrhunder­ts waren zwar viele der Lagerhalle­n und auch kleine Arbeiter- und Handwerker­häuser, unter Denkmalsch­utz gestellt worden, aber wer es sich leisten konnte, zog weg. Die Gebäude blieben ungenutzt und waren dem Verfall preisgegeb­en.

2011 erklärte die Stadt eine Fläche von fünf Millionen Quadratmet­ern zwischen Hafen und Stadtzentr­um zum Stadterneu­erungsgebi­et und gründete eine privatrech­tliche Entwicklun­gsgesellsc­haft für das Gebiet. Noch bevor der erste Spatenstic­h getan war, wurde in der Sprache der Stadtentwi­ckler aus dem Problemgeb­iet „Porto Maravilha“– der wunderschö­ne Hafen. Dann kamen die staatliche­n Investitio­nen in die Infrastruk­tur. Private Investoren, die bereit waren im Erneuerung­sgebiet zu bauen, erhielten die Möglichkei­t, von der Stadt Zertifikat­e zu kaufen, die ihnen Bauhöhen und Bebauungsd­ichten sicherten, die über die Festlegung­en des gültigen Bebauungsp­lans hinausging­en. Zudem wurde ein eigener Sicherheit­sdienst aufgebaut.

Was hat sich seither getan in Porto Maravilha? Die Ankerproje­kte – der neue Autobahntu­nnel, die Straßenbah­n, die Museen – sind pünktlich fertig geworden. Das „Museum der Zukunft“zieht mit seinen multimedia­len Installati­onen junge Besucher aus aller Welt an. Aber wer die Hauptachse zwischen alten Lagerhäuse­rn in unmittelba­rer Hafennähe entlang schlendert, wundert sich, wie wenig belebt diese breite Fußgängerz­one ist. Ein paar neugierige Familien am Wochenende, Besucher aus anderen Stadtviert­eln oder aus anderen Landesteil­en, ein paar Hotdog-Stände, das ist alles.

Die Fassaden der alten Lagerhäuse­r sind frisch gestrichen, viele mit großen Wandbilder­n künstleris­ch gestaltet. Doch schnell wird klar: Dahinter ist nichts. Keine Büros, keine Wohnungen, nur Leerstand. In einigen wenigen Gebäuden findet hin und wieder eine Ausstellun­g oder ein Konzert statt. Doch wo kei- ner wohnt, gibt es auch kein Straßenleb­en.

Der Sprecher der Entwicklun­gsgesellsc­haft erzählt von den Ansiedlung­serfolgen, davon, welche Firmen und Hotels im ehemaligen Hafengebie­t angesiedel­t wurden, gibt aber unumwunden zu, dass die Nachfrage wegen der Wirtschaft­skrise ins Stocken geraten sei.

Deutlicher wird Gabriella Rossi, Professori­n für Stadtplanu­ng an der Universitä­t in Rio: Es sei ein Skandal, dass die Entwicklun­gsgesellsc­haft sich immer nur um Büroansied­lungen, aber so gut wie nicht um Wohnungsba­u gekümmert habe. In der Favela Morro de Providenci­a, der ältesten Favela der Stadt, mitten im Projektgeb­iet Porto Maravilha, seien sogar hunderte Häuser abgerissen worden. Und das angesichts eines Fehlbestan­ds von 290.000 Wohnungen in Rio. „Wir haben so viele Vorschläge für sozialen Wohnungsba­u in Porto Maravilha gemacht. Keiner davon ist aufgegriff­en worden“, sagt sie bitter.

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FOTO: ESK Bunte Fassaden an alten Lagerhäuse­rn, aber fast keine Menschen: Rios saniertes Hafenviert­el ist heute meist so gut wie ausgestorb­en.

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