Rheinische Post Opladen

Jogi Löw, der Tiefenents­pannte

- VON BERND JOLITZ

KÖLN Die letzte Niederlage einer deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft hat schon Patina angesetzt. Am 7. Juli 2016 gab es sie, und sie war ausgesproc­hen schmerzhaf­t – 0:2 im EM-Halbfinale von St. Denis gegen Frankreich. Seitdem fuhr das Team von Bundestrai­ner Joachim Löw bei fünf Unentschie­den 16 Siege ein, elf davon allein im Kalenderja­hr 2017. Eine Bilanz, die Löw so sehr gefällt, dass er aus seinem Rundum-Wohlbefind­en überhaupt kein Hehl macht.

„Warum sollte ich mir Sorgen machen?“, fragt er nach dem 2:2 zum Saisonfina­le gegen Frankreich und lehnt sich auf dem Podium des Kölner Stadions zurück, als säße er im Liegestuhl. „Ich bin völlig entspannt, vor allem nach diesem Jahr.“Die Ergebnisse sprechen für ihn und seine Arbeit, auch wenn das letzte des Jahres ein wenig glücklich war. In der dritten Minute der Nachspielz­eit glich der eingewechs­elte Gladbacher Lars Stindl aus, nachdem die flinken Franzosen den Weltmeiste­r eine Halbzeit lang rundgespie­lt hatten.

Doch selbst diese 45 Minuten, in denen die Schützling­e seines Kollegen Didier Deschamps einen Wirbel veranstalt­eten, der vor allem dem gänzlich überforder­ten AushilfsRe­chtsvertei­diger Emre Can noch wochenlang Alpträume bereiten dürfte, bringen Löw nicht aus der Ruhe. „Es war doch klar, dass wir nicht komplett eingespiel­t sein konnten“, erklärt er. „Außerdem ist Frankreich doch gespickt mit vielen, vielen Weltklasse­spielern. So etwas wie diese erste Spielhälft­e macht mir nie auch nur eine einzige schlaflose Nacht.“

Das Selbstbewu­sstsein des Lörrachers wirkt ansteckend. Weil es nicht aufgesetzt, sondern tief in ihm verankert ist. Er weiß um die Stärken seiner Mannschaft, weiß auch um ihre Schwächen – und dass diese sieben Monate vor Beginn der WMEndrunde noch nicht besorgnise­rregend sind.

„Wir müssen daran arbeiten, die Räume besser zu nutzen, die uns stärkere und offensiver ausgericht­ete Gegner schon mal ganz kurz anbieten“, berichtet Löw. „Das sind wir noch nicht gewohnt, da wir in der Qualifikat­ion meist gegen sehr tief stehende Mannschaft­en spielen, die uns 70 bis 80 Prozent Ballbesitz gestatten. Doch wenn wir erst diese Zwischenrä­ume finden und nutzen, dann sind wir kaum zu schlagen.“Da ist es wieder, dieses ansteckend­e Selbstbewu­sstsein.

„Wir wissen genau, was wir können“, beschreibt der Bundestrai­ner diese Haltung. „Wir haben uns eine wahnsinnig gute Basis erarbeitet.“Und fast so, als habe er dieses Thema vorbestell­t, kommt dann noch die Frage, wie wichtig in seinem Job die Erfahrung sei. Prompt spielt ein wissendes Lächeln um die Lippen Löws, der seit Ende der WM 2006 im Amt ist und damit nur fünf Monate kürzer als Uruguays Óscar Tabárez, der dienstälte­ste Coach aller Endrundent­eilnehmer. „Die Erfahrung als Trainer spielt da schon eine wichtige Rolle“, sagt er. „Man hat selbst schon mal Fehler gemacht, klar, und daraus dann einiges gelernt und mitgenomme­n.“

Der Vorteil, so versichert er, sei eben, dass man im Vorfeld und auch während einer WM beinahe jede Schwierigk­eit schon einmal erlebt, jede Klippe schon einmal umschifft habe. „Mich macht nichts mehr nervös“, betont er, jetzt gar nicht mehr im virtuellen Liegestuhl, sondern im Tonfall unerschütt­erlicher Überzeugun­g, „selbst dann nicht, wenn unsere Ergebnisse bei den letzten Testspiele­n im März nicht stimmen sollten. Oder wenn der eine oder andere Spieler verletzt ist.“

Den Namen Manuel Neuer nennt er dabei nicht, auch wenn er ungehört mitschwing­t. Schließlic­h hat Kevin Trapp eben noch gegen die Franzosen bravourös gehalten. Wenn er spielt, so Löw, „haben Torwarttra­iner Andi Köpke und ich ein wahnsinnig gutes Gefühl“. So wie seine Zuhörer angesichts solcher Tiefenents­pannung.

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