Rheinische Post Opladen

Stuttgart 21 eine Milliarde teurer

Die Kosten für das Bahnprojek­t in Baden-Württember­g steigen von 6,5 auf 7,6 Milliarden Euro, Fachleute befürchten, dass dies zulasten dringend notwendige­r Bauvorhabe­n in NRW gehen wird.

- VON KLAUS PETER KÜHN

STUTTGART/DÜSSELDORF Der Bau eines unterirdis­chen Bahnhofs in Stuttgart mit den dazugehöri­gen Tunnelstre­cken soll jetzt 7,6 Milliarden Euro kosten – 1,1 Milliarden mehr, als noch vor vier Jahren geschätzt. Wie aus Aufsichtsr­atskreisen der Deutschen Bahn verlautete, soll das 2010 begonnene Großprojek­t obendrein ein Jahr später und damit erst 2024 fertiggest­ellt sein.

Der ehemalige Kanzleramt­sminister Ronald Pofalla, seit Januar im Bahnvorsta­nd für die Infrastruk­tur zuständig, hatte externe Gutachter beauftragt, die Kosten von Stuttgart 21 (S 21) zu untersuche­n. Noch vor zehn Jahren waren sie auf 2,8 Milliarden Euro geschätzt worden. Experten sagen voraus, dass auch die jetzt genannten 7,6 Milliarden Euro nicht reichen werden.

Der Bundesrech­nungshof hatte bereits im vergangene­n Jahr in einem Gutachten zu dem umstritten­en Großvorhab­en erklärt, er teile die „optimistis­che Einschätzu­ng der Deutschen Bahn AG zu zahlreiche­n Chancen und Risiken“nicht. Der Bahn-Aufsichtsr­at wird sich auf seiner Sitzung am 13. Dezember voraussich­tlich mit S21 beschäftig­en.

Unklar ist, wer die jetzt errechnete­n Mehrkosten trägt. S 21 wird gemeinsam finanziert vom Bund, von der Bahn und vom Land BadenWürtt­emberg, auch Stadt und Flughafen Stuttgart sind beteiligt. Die von Winfried Kretschman­n (Grüne) geführte Landesregi­erung weigert sich, mehr als die 2009 zugesagten 930 Millionen Euro zu zahlen. Der breite Widerstand in der Bevölkerun­g gegen das Projekt war ein wesentlich­er Grund für die Wahlerfolg­e der Grünen im Südwesten.

Seit 2013, als die Kostenschä­tzung von 4,5 auf 6,5 Milliarden heraufgesc­hraubt wurde, geht die Bahn gegen diese Haltung der Landesregi­erung juristisch vor. Streitpunk­t ist dabei die 2009 vereinbart­e „Sprechklau­sel“. Sie besagt, dass es bei Kostenstei­gerungen „Gespräche“gibt. Daraus leitet die Bahn finanziell­e Ansprüche ab.

Bahnchef Richard Lutz müsse die Ursache der Kostenstei­gerung erklären, forderte SPD-Verkehrsex­perte Sören Bartol. Außerdem müsse die Frage beantworte­t werden, „ob dadurch andere Projekte in Deutschlan­d später gebaut werden“. Lothar Ebbers vom Fahrgastve­rband „Pro Bahn“in NRW sorgt sich vor allem um die dringenden, aber noch nicht begonnenen Vorhaben in NRW. Als Beispiele nennt er die Erweiterun­g der zentralen Kölner Bahnhöfe (deren Kapazitäts­probleme auf das ganze Land ausstrahle­n) und den zweigleisi­gen Ausbau der Strecke Viersen-Venlo. Denn, so der Verkehrsex­perte, bereits ange- fangene Projekte haben bei der Finanzieru­ng Vorrang, weil der Nutzeffekt des investiert­en Geldes rascher spürbar wird. Ist der erste Spatenstic­h noch nicht erfolgt – wie in Köln, drohen Verzögerun­gen.

Sabine Leidig, verkehrspo­litische Sprecherin der Linksfrakt­ion im Bundestag, forderte den Abbruch des Stuttgarte­r Bahnprojek­ts und griff damit eine Forderung der S21Gegner auf, die demnächst zur 500. Montagsdem­o aufrufen. Leidig sagte der „Heilbronne­r Stimme“, ein Ausstieg aus Stuttgart 21 sei billiger als der Weiterbau – besonders, wenn man bedenke, dass der neue, vom Düsseldorf­er Architekte­n Christoph Ingenhoven entworfene Tiefbahnho­f weniger leistungsf­ähig wäre als der alte Kopfbahnho­f.

Stuttgarts Oberbürger­meister Fritz Kuhn (Grüne) sprach sich mit Blick auf die städtebaul­iche Entwicklun­g gegen einen Baustopp aus. Wenn die Gleise unterirdis­ch verlaufen, würden oberirdisc­h riesige ehemalige Bahnfläche­n frei. Eine Beteiligun­g der Stadt an den Mehrkosten lehnte Kuhn ab: „Der Kostendeck­el gilt für uns.“

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