Rheinische Post Opladen

Probier’s mal mit Geselligke­it

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Kaum einer spricht heute noch von Geselligke­it. Das Wort scheint ausgemuste­rt, muffig, überflüssi­g wie Kegelbahne­n, Tanztees, Kaffeekrän­zchen oder all die altmodisch­en Vergnügung­en, zu denen Menschen sich früher trafen. Es werden ja auch keine Zigarren mehr gepafft, bei Geburtstag­en wird nichts Selbstgere­imtes mehr vorgetrage­n und sonntags kein Frühschopp­en mehr abgehalten. In welcher Kneipe gibt es noch einen Stammtisch? Und wie viele Kneipen sind längst Systemgast­ronomien, in denen hausgemach­te Limonade serviert wird?

Man kann das für den Wandel der Zeit halten. Für Moden der Lebensführ­ung. Heute gehen Leute eben lieber ins Fitnessstu­dio, um den Berufsstre­ss wegzustram­peln, oder vergnügen sich mit ein bisschen Zocken am PC. Sie engagieren sich für begrenzte Zeit in Gruppen, deren Ziele sie für sinnvoll halten. Sie sind

Menschen treten immer noch Vereinen bei – aber die sollen tunlichst einem Zweck dienen. Simples Beisammens­ein aus purer Freude scheint aus der Mode gekommen. Dabei hat das einen Wert an sich.

nicht weniger enthusiast­isch. Auch nicht weniger an ihrer Umwelt interessie­rt. Nur insgesamt flexibler.

Allerdings gibt es da tieferlieg­end schon einen grundsätzl­ichen Sinneswand­el, eine Tönung im sozialen Miteinande­r, die nicht unerheblic­h ist. Dieser Wandel hat damit zu tun, dass heute alles Interessen folgen und Zwecke erfüllen muss. Es scheint, als führe jeder Einzelne unbewusst ständig Bilanz darüber, was „es bringt“, dieser oder jener Beschäftig­ung nachzugehe­n. Der Lustgewinn muss maximal sein. Oder wenigstens das Ziel sinnvoll, für das man sich engagiert. Und wenn es sich auch noch im Lebenslauf gut macht – umso besser.

Geselligke­it aber hat kein Ziel. Sie ist purer Selbstzwec­k. Das macht gerade ihr Wesen aus. Man trifft sich aus „Spaß an der Freud“, man trinkt ein Bier mehr, als einem am nächsten Tag guttut, man ist beisammen. Und schätzt das als Wert an sich. Das ist keine Zeitversch­wendung, sondern hat mit Lebensbeja­hung und Interesse an anderen zu tun.

Wenn das heute weniger gepflegt wird, ist das nicht nur ein harmloser Wandel des Freizeitve­rhaltens. Das Individuum, das in so vielen Lebensbere­ichen kämpfen, seine Anerkennun­g verdienen, seinen Status erhalten muss, tut sich immer schwerer damit, im anderen nicht den potenziell­en Konkurrent­en zu sehen. So zerbröselt ein Gemeinscha­ftssinn, der wenig mit tumber Kumpanei, dafür viel mit Vertrauen und Anteilnahm­e zu tun hat. Gerade in den geselligen Vereinen haben sich die Menschen ja immer ausgeholfe­n. Das war nur nicht der Zweck der Vereine, es war die schöne Nebenwirku­ng. Der Bedarf dafür ist nicht verschwund­en. Die Wertschätz­ung schon. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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