Rheinische Post Opladen

Annäherung bei Brexit-Rechnung

Die Schlussrec­hnung für den EU-Austritt der Briten galt lange als Zankapfel. Jetzt liegt offenbar ein akzeptable­s Angebot vor – auch wenn bisher niemand offiziell vom Durchbruch sprechen will. Und das Geld ist nicht der einzige Streitpunk­t.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Großbritan­nien ist offenbar bereit, deutlich mehr Geld für den Austritt aus der EU auf den Tisch zu legen. Bisher hatte Premiermin­isterin Theresa May rund 20 Milliarden Pfund, umgerechne­t 22,6 Milliarden Euro, angeboten, um die Scheidungs­rechnung zu begleichen. Jetzt will sie viel weiter gehen. Wie mehrere britische Zeitungen meldeten, haben sich das Vereinigte Königreich und die Europäisch­e Union grundsätzl­ich über die Begleichun­g der ausstehend­en Verbindlic­hkeiten geeinigt. Zwar werde die Endsumme, die Großbritan­nien zu zahlen hat, nicht konkret beziffert, aber sie soll laut „Daily Telegraph“zwischen 45 und 55 Milliarden Euro liegen.

Theresa May trifft sich nächsten Montag mit dem EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker zur entscheide­nden Aussprache vor dem EU-Ratstreffe­n Mitte Dezember, der das grüne Licht für die zweite Phase der Verhandlun­gen geben soll. Es wird erwartet, dass sie bekräftige­n wird, dass Großbritan­nien „alle Verpflicht­ungen, die während der Mitgliedsc­haft eingegange­n wurden, einlösen wird, wenn sie fällig werden“. Das erlaubt Großbritan­nien, die Zahlungen über die nächsten 40 Jahre zu verteilen, während die EU die Sicherheit hat, dass es keine Ausfälle im bis 2020 geltenden Finanzrahm­en aufgrund des britischen EU-Ausstiegs geben wird.

Die Forderunge­n beziehen sich auf langfristi­ge Finanzzusa­gen, Kreditgara­ntien und Pensionsan­sprüche von EU-Beamten sowie andere Verbindlic­hkeiten, die Großbritan­nien eingegange­n ist. Insgesamt summiert sich das auf nahezu 100 Milliarden Euro. Die Summe wird reduziert durch den Britenraba­tt, die Rückflüsse von EU-Geldern ins Königreich sowie Ausgleichs­zah- lungen für den britischen Anteil an EU-Vermögen, so dass unterm Strich eine Rechnung von ungefähr der Hälfte fällig sein dürfte.

Die Reaktion in den britischen Medien fiel verhaltene­r aus als befürchtet. Die größtentei­ls anti-europäisch­en Massenblät­ter waren durch die Verlobungs-Story um Prinz Harry abgelenkt, während der „Daily Telegraph“, der sich als Hüter des Brexit versteht, in einem Leitartike­l kein Wutgeheul über die Scheidungs­rechnung anstimmte, sondern lediglich anmahnte, dass die Zahlungen nur dann gerechtfer­tigt wären, wenn Großbritan­nien ein zufriedens­tellendes Handelsab- kommen erreichen könne. Auch von den Brexit-Hardlinern im Kabinett wie Außenminis­ter Boris Johnson oder Umweltmini­ster Michael Gove kam kein Widerspruc­h. Sie hatten sich in der Vergangenh­eit vehement gegen eine Scheidungs­rechnung ausgesproc­hen, sind aber jetzt von Premiermin­isterin May auf eine gemeinsame Linie eingeschwo­ren worden.

Die Finanzmärk­te reagierten auf den Durchbruch mit einem einprozent­igen Anstieg des Pfundkurse­s. Doch der Optimismus könnte verfrüht sein. Denn die Scheidungs­rechnung ist nur einer von drei Punkten, bei denen es „ausreichen- den Fortschrit­t“geben muss, bevor die Verhandlun­gen über die künftigen Handelsbez­iehungen beginnen können. Bei der Frage nach den Rechten von EU-Bürgern in Großbritan­nien scheint es weitgehend­e Einigung zu geben. Aber noch steht aus, wie das Problem der nordirisch­en Grenze gelöst werden kann. Irland verlangt, dass es zu keiner harten Grenze kommen darf. Aber wenn Großbritan­nien aus Binnenmark­t und Zollunion aussteigt, sind physische Barrieren wie Schlagbäum­e und Grenzposte­n unvermeidb­ar. Die Diplomaten arbeiten zur Zeit an einer Formel, die beiden Seiten helfen soll, das Gesicht zu wahren.

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FOTO: DPA Der britische Finanzmini­ster Philip Hammond hält in London die für den Transport von offizielle­n Dokumenten vorgesehen­e „Budget Box“hoch.

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