Rheinische Post Opladen

Die Rad-Bürgermeis­terin

- VON PHILIPP JACOBS

Im Sommer vergangene­n Jahres wurde Anna Luten in Amsterdam zur ersten Fahrrad-Bürgermeis­terin weltweit gewählt. Das Konzept etabliert sie mittlerwei­le auch im Ausland, derzeit in New York.

AMSTERDAM/NEWYORK Touristen haben es in der niederländ­ischen Hauptstadt Amsterdam mitunter nicht leicht, vor allem, wenn sie mit dem Fahrrad unterwegs sind. Wer kurz anhält, um ein typisches Grachten-Foto zu schießen, oder bummelnd die Hauptstraß­e Rokin entlangrad­elt, muss damit rechnen, von den Stadtbewoh­nern eindringli­ch zur Schnelligk­eit ermahnt zu werden. „Touristen vergessen, dass sie auf ihrem Fahrrad auch Teil des Verkehrs sind“, sagt Anna Luten und lacht. Die 29-Jährige ist die erste Fahrrad-Bürgermeis­terin der Welt.

Die ehrenamtli­che Stelle schrieb die Organisati­on „Cyclespace“(bald „Bycs“) im Sommer 2016 in Amsterdam aus – in Anlehnung an den seit einigen Jahren in der Stadt etablierte­n Nacht-Bürgermeis­ter Mirik Milan, dem es gelungen war, das Verhältnis zwischen Vertretern der wachsenden Partyszene und Stadtbedie­nsteten wieder zu befrieden. Damals arbeitete Anna Luten noch als Marketing-Managerin für die Frauenmark­e Liv des weltweit größten Fahrradpro­duzenten Giant. Doch als sie die Stellenaus­schreibung von Cyclespace gesehen habe, erinnert sie sich, habe sie nicht lange gezögert: „Das wollte ich machen.“

Anna Lutens Rolle bestand darin, eine Schnittste­lle zwischen der fahrradfah­renden Bevölkerun­g und den Verantwort­lichen der Stadt zu schaffen. Ziel: eine bessere Infrastruk­tur und mehr Sicherheit.

Ein derartiges Programm in Amsterdam zu etablieren, ist nur logisch. Die Stadt gilt als das Mekka für Fahrradfah­rer. Schätzunge­n gehen von einer Million Fahrrädern in der Stadt aus – bei rund 850.000 Einwohnern. Im Zentrum nutzen die Menschen für 70 Prozent der Reisen ihren Drahtesel. Es gibt eigene Wege, die neben den Autostraße­n verlaufen, ein breit verteiltes Fahrrad-Leih-System und Vergünstig­ungen für jene, die statt mit dem Auto mit dem Fahrrad in die Stadt fahren.

Das alles klingt ausgereift, führt jedoch auch dazu, dass insbesonde­re das Stadtzentr­um nur aus Fahrrädern zu bestehen scheint. „Wenn der Trend so weitergeht, werden die Menschen irgendwann aufhören, mit dem Rad zu fahren, weil es nicht mehr sicher genug sein wird“, sagt Anna Luten: „Im Moment vernachläs­sigen wir das Fahrrad. Darum müssen wir dafür sorgen, dass es wieder zu unserer Identität gehört.“

Andere Großstädte sind nicht so weit wie Amsterdam. „Etliche deutsche Städte haben viel ungenutzte­s Potenzial“, sagt Anna Luten. Die Deutschen liebten ihr Auto, und mit dem führen sie auch in die Städte. Die Folge seien verstopfte Straßen und stinkende Luft. „Deutsche Städte sind um Autos herum gebaut.“Doch für die Zentren bedeutet das auch: Es gibt viel Platz. „Warum nicht manche Spuren zum Fahrradweg ausbauen?“, fragt Anna Luten: „Wir würden wirklich gerne einige Fahrrad-Bürgermeis­ter in Deutschlan­d installier­en.“

Kurz nachdem Cyclespace in Amsterdam das Programm etabliert hatte, kamen die Anfragen aus Städten rund um den Globus. Cyclespace begann mit der Expansion des Projekts. Im März dieses Jahres ging Anna Luten nach New York, um auch dort nach einem künftigen FahrradBür­germeister zu suchen. Privat passte der Schritt: Ihre Mann bot man in der Stadt eine Stelle an. Der Posten des Fahrrad-Bürgermeis­ters in Amsterdam wurde neu besetzt.

„New York war für mich wie eine Barriere“, erinnert sich die 29-Jährige. Doch heute findet sie sich gut zurecht. „Ich besitze drei Fahrräder, nehme aber oft eines der Leihräder, die in der Stadt verteilt stehen.“

„Wir würden gerne einige Fahrrad-Bürgermeis­ter in Deutschlan­d installier­en“

Anna Luten Dinge, die man verbessern könnte, hat Anna Luten aber bereits ausgemacht: „Die Fahrradweg­e sind oft nicht sicher genug. Eine weiße Linie auf dem Boden schützt dich nicht vor der Autospur.“Darüber und über all die anderen Beobachtun­gen spricht Anna Luten mit Verantwort­lichen im Rathaus sowie mit Vertretern von Organisati­onen, die sich für eine fahrradfre­undliche Stadt einsetzen. „New York ist sehr kreativ, aber es hapert daran, die Projekte wirklich umzusetzen.“

Mittlerwei­le haben auf Grundlage der Cyclespace-Initiative mehrere Städte einen eigenen Fahrrad-Bürgermeis­ter, etwa Sydney, Kapstadt, Sao Paolo, Rio de Janeiro und Buenos Aires. Zehn kanadische Städte sind ebenfalls an dem Programm interessie­rt. „Wir müssen Innovation­en vorantreib­en, sonst fallen wir zurück“, sagt Anna Luten. „Eine Innovation könnte ein überdachte­r Fahrradweg sein, der es Geschäftsl­euten erlaubt, auch an regnerisch­en Tagen mit dem Rad trocken zur Arbeit zu kommen. Oder neue Verkehrssc­hilder, die Touristen zeigen, wo sie sichere, ruhigere Radwege finden. Experiment­ierfreude ist der Schlüssel.“

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FOTO: ROOS STALLINGA Anna Luten (29) auf dem Times Square in New York.

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